Dienstag, 12. Mai 2015


Das dreimonatige Date und sein Abschied

Lange nichts gehört aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Aus dem Land, in dem der  „American Dream“ meist Traum bleibt, aber mit ganz viel Glück und noch viel mehr Verstand Wirklichkeit werden kann. Ja zugegeben, es ist ruhig geworden in den letzten Wochen. Um mich und meinen amerikanischen Traum(mann).  Was nicht heißt, dass dieser in den Tiefen des Pazifiks von Haien zerfetzt und anschließend als kleine Köttelchen auf dem Meeresboden niedergelegt wurde. (Noch nie Gedanken darüber gemacht, wie Fischscheiße überhaupt aussieht! Ihr?) 
Inzwischen bin ich schon seit einem guten Monat wieder in Germany. Aus dem depressiven after-vacation Loch habe ich mich schwermütig (hatte doch tatsächlich ein paar Kilo zugenommen) wieder herausgezogen. Nun galt es sich hier wieder zu etablieren. Oder doch dort? Irgendwie fühlte ich mich so kurz nach meiner Rückkehr komplett zwischen den Stühlen. Den Jetlag hätte ich innerhalb weniger Tage loswerden sollen, doch habe mich stets geweigert. Zu verführerisch war es die halbe Nacht nach California zu skypen, um zu beteuern, wie sehr ich meinen Lover doch vermissen würde.
Aber gehen wir nochmal zwei Schritte zurück. Während die ersten sechs Wochen meines Abenteuers ewig zu dauern schienen, vergingen die letzten so erschreckend schnell, dass ich das Gefühl hatte, die Zeit gar nicht so richtig ausgekostet zu haben. Man kam immerhin nicht häufig dazu sich eine mehrmonatige Auszeit zu nehmen. Vermutlich würde das mein erstes und letztes Mal bleiben. 
Wir schafften es doch tatsächlich bis zum Schluss nicht, unsere Beziehung offiziell zu machen. Hatte ich denn wirklich drei Monate einen Mann „gedatet“, der jetzt still und heimlich wieder aus meinem Leben verschwinden würde, sobald ich den europäischen Boden erreicht hatte? Das konnte es doch nicht gewesen sein. Immerhin hatten wir in diesen drei Monaten so viele Höhen und Tiefen erlebt, wie es andere vermutlich in zehn Jahren Ehe nicht durchlebten. So anstrengend und frustrierend das teilweise war, so schweißte es doch zusammen. Hatten wir vielleicht einfach den Zeitpunkt verpasst „exclusive“ zu werden? Als Justin und ich kurz vor meiner Abreise auf der Straße zu einer Umfrage befragt werden und Auskunft über unseren Beziehungsstatus geben sollten, stellte er mich als seinen „Buddy“ vor. So ein Scheiß! Da wäre ich noch lieber das „Sexspielzeug“ an seiner Seite, als sein Kumpel. Daraufhin warf ich mich ihm demonstrativ auf offener Straße an den Hals, knutsche ihn auf Mund und Nacken und fragte die verdutzt dreinblickenden Männer in Streifenoptik provokativ, ob so ein Kumpelverhältnis aussehen würde. Okay  sorry, mein Verhalten war der Steigerung des deutschen Rufs im Ausland vermutlich nicht gerade zuträglich. Aber nach anfänglicher peinlicher Stille mussten dann doch alle lachen. Naja, unsere Beziehung, was auch immer es für eine war, lebte von der Provokation, den kurzen Auseinandersetzungen und anschließenden Versöhnungen. Das war vermutlich das was passierte, wenn zwei Temperamentsbolzen sich gegenseitig aufheizten. Es war nervenzehrend, aber wir fanden uns damit ab und schienen es irgendwann sogar zu genießen. 
Dann war er auf einmal da, der Tag des Abschieds. Und ich fühlte mich unvorbereitet. Ich wollte bleiben. Und doch wussten wir beide, dass es nicht ging. Abgesehen vom Visum, welches in drei Tagen ablaufen würde und vom Budget, welches schon vor einigen Wochen ausgeschöpft war, brauchten wir jetzt Zeit, um herauszufinden, ob wir eine Chance hatten. Ob wir einander so bedingungslos wollten, dass die Entfernung nur eine geographische war! Und ob wir irgendwann wieder zueinander finden wollten. Diese Ungewissheit fraß mich auf. Sie machte es für mich beinahe unmöglich die letzten Augenblicke zu genießen. Nein, ein Mensch der im Moment lebte, war ich ganz sicher nicht. Und eine Person loszulassen fiel mir schon in der Grundschule vor einer dreitägigen Klassenfahrt in die Eifel schwer. 
Wir fuhren nach Manhattan Beach, nahe des Flughafens Los Angeles. Es war ein kühler, aber sonniger Tag und als wir am Strand entlang schlenderten schmiegte ich mich fröstelnd an Justin. Verrückt! Ihn gleich nicht mehr bei mir zu haben. Beinahe unwirklich! Wir setzten uns in eine Bar, aßen und tranken nochmal zünftig und es lag ausnahmsweise mal keine Auseinandersetzung in der Luft. Alles war harmonisch. Nur in meinem Hals bildete sich ein riesiger Kloß, der das Sprechen und Schlucken zunehmend erschwerte. Auf dem Weg wenig später zum Flughafen brachen dann alle Dämme. Ich heulte hemmungslos drauflos und schniefte schluchzend in die Serviette, die ich präventiv im Restaurant in meiner Handtasche hatte verschwinden lassen. Justin parkte und brachte mich zum Gate. 

Ich heulte und spürte die mitleidigen und gerührten Blicke der Leute im Nacken. Auch Justin schien berührt. Er streichelte meinen Kopf und versicherte mir, dass wir uns bald wiedersehen würden. Seine Augen glitzerten zart in der Reflektion des Sonnenlichtes auf der riesigen Glasscheibe. So standen wir dort, vielleicht 5 Minuten oder auch mehr. Dann löste ich sanft seine Umarmung, küsste ihn noch einmal auf seine kratzige Wange, trat einige Schritte zurück und wendete mich der Rolltreppe zu, die mich in die Sicherheitszone bringen würde. Ich murmelte noch ein heiseres „Goodbye“, dass er vermutlich nicht mehr hören würde. Die Fahrt bis auf die obere Etage schien ewig zu sein. Beinahe oben angekommen schaute ich ihm noch einmal hinterher, wie er mit gesenktem Kopf über die Straße ging. Ich hoffte, dass er sich noch einmal umdrehen würde. Zurück kommen würde! Mich bitten würde zu bleiben! Doch er tat es nicht! Er verschwand als dunkle Gestalt in den versmogten Tiefen des Parkhauses.