Auf den Strassen der Nachkriegszeit
Sie stieg noch am gleichen Tag ins Flugzeug. Ich versuchte
sie zu ueberreden zu bleiben. Das Teufelchen auf der Schulter hatte sich just
in dem Moment aus dem Staub gemacht, indem sie mir mit zitternder Unterlippe
erzaehlte, dass sie nicht hier bleiben wolle. Dass sie sich nicht wohl fuehle.
Ich hatte alles auf meine Hormone geschoben. Die eine “Nebenbuhlerin” im Moment
schwierig akzeptieren wollten. Das nimmt einem normalerweise ja jeder ab.
Eigentlich ist: “Ich habe meine Tage!” beinahe die Anwort auf jede Frage.
Warum bist du so schlecht drauf? -Ich habe meine Tage.
Weshalb willst du keinen Sex?-Ich habe meine Tage.
Warum bist du nicht zum Maedelsabend gekommen?-Ich habe
meine Tage.
Wer wird wohl die US-Wahlen gewinnen?... Naja auf fast jede
jedenfalls.
Nur hatte ich eben nicht meine Tage, sondern eine
Schwiegermutter. Das war mindestens genauso belastend.
Sie schien meine Gefuehle zu verstehen…behauptete sie
jedenfalls. Das waere auch gar nicht der Grund, weshalb sie gehen wolle. Sie
habe Heimweh. Das Wetter wuerde sie bedruecken. Ich dachte eigentlich, dass
Deutschland weltweit bekannt dafuer ist, geographisch und klimatisch nicht in
der Suedsee zu liegen. Ich fahre doch auch nicht in die Arktis, aermellos. Bis
Amerika schien dies aber noch nicht vorgedrungen zu sein oder es hielt sich
noch fabuloes als nicht bewiesenes Geruecht . Oder so!
Und langweilig waere es auch. Sie hatte sich erhofft mehr zu
unternehmen. Nun mal Butter bei die Fische: Bist du zwei Wochen, nachdem du
geworfen hast, wieder Fallschirm gesprungen? Vermutlich nicht, sonst haettest
du naemlich einige deiner Innereien auf dem Weg nach unten vorloren. Ich fuehlte
mich wie ein ausgeleihertes Kondom, dass sich auch noch edelmuetig um den
Nachwuchs kuemmern sollte. Wobei, schlechter Vergleich, ein ausgeleihertes
Kondom koennte wohl relativ gut fuer Nachwuchs sorgen.
Bevor es zu wirr wird: sie war weg. Einfach so. Und ich
wollte darueber sprechen. Reflektieren, was wohl falsch gelaufen sein koennte.
Wie das Frauen eben so machen. Justin war da der falsche Ansprechpartner.
“Meine Mutter ist eben eine sehr liebe, aufopferungsvolle
Person, du konntest damit scheinbar nicht umgehen. Done. Move on!”
“Great!”
Mit wem sollte ich die Situation nun also reflektieren.
Meine linke Brust schien sich irgendwie angesprochen zu fuehlen und reagierte
mit einer fetten Entzuendung. Milchstau! Hoert sich noch zu harmlos an, fuer
das, was mich da erwarten wuerde. Es fuehlte sich an, als wuerde jemand mit
deiner Brust ‘Brennessel’ spielen. (Kennt ihr noch das fiese Kinderspiel?). Nur
10 mal schlimmer. Dazu kommt das Gefuehl eine Grippe auszubrueten.
Nachdem ich mich mit Gedanken wie ‘abstillen’ und
‘Brustamputation’ virtuell beschaeftigt hatte, ging die Entzuendung genauso schnell,
wie sie gekommen war. Ich fuehlte mich erleichtert. Es war ein gutes Gefuehl
nun alleine fuer das kleine Maeuschen sorgen zu duerfen.
Happy End? Schoen waers! Nicht nur meine Schwiegermutter
hatte ihre Probleme mit der Stadt, dem Land, mit mir, mit der ganzen Welt…nein,
auch Justin fiel in ein Loch.
Er war nun bald ein Jahr in Deutschland, was bedeutete, dass
er auch beinahe ein Jahr nicht mehr in Kalifornien war. Was bedeutete, dass er
seit fast einem Jahr die Sonne nicht mehr gesehen hatte. Was bedeutete, dass er
seit fast einem Jahr kein Vitamin-D mehr bildete. Was bedeutete, dass er enorm ungluecklich war. Zu allem Ueberfluss
hatte er waehrend meiner Schwangerschaft noch mehr an Schwangerschaftspfunden
zugelegt als ich. Und ich war meine Pfunde schon nahezu los. Er nicht!
Irgendwie hatte sein Stoffwechsel noch nicht verstanden, dass die
Schwangerschaft vorueber war. Er durfte wieder abnehmen! Na los!
“Es ist immer so schwer zu hungern, wenn das Wetter so
schlecht ist!”, behauptete Justin und klopfte
sich ungestuem auf die Wampe, als wuerde er versuchen, sie mit einem
Fleischklopfer platt zu walzen. Irgendwie befanden wir uns in einer
Endlosschleife. Keine Sonne, kein Vitamin D, ungluecklich. Keine Sonne, kein
Antrieb abzunehmen, ungluecklich. Unsere einziger Weg aus dem Dilemma war
Sonne. Und die ist in Deutschland manchmal schwer zu finden. Oft schwer zu
finden. Und in Wuppertal ganz selten mal zu finden.
Und wenn die Stimmung schon so schlecht ist. Dann ist auch
alles andere schlecht.
“Die Leute sind komisch, das Essen ist so fettig (sagt ein
Amerikaner??), ist die Strasse noch aus dem ersten Weltkrieg?”
Ich hatte Angst vor dem Gespraech und zoegerte es so lange
hinaus, bis es ging. Mit der Hoffnung, dass es sich von alleine ergab. Dass er
doch noch gefallen an meiner Heimat finden koennte. Er sich ploetzlich auch
heimisch fuehlte. Er ueber Nacht ploetzlich 25 Kilo verlor oder der Klimawandel
sich in Deutschland durch 340 Tage Sonne im Jahr auszeichnete.
Irgendwann kam das Gespraech. Und mit ihm die Gewissheit,
dass wir wohl nicht in Deutschland bleiben wuerden.