Freitag, 10. April 2015

                                                              17
Marry that girl, marry her anyway
Das Sonnenlicht drängte sich behutsam durch die Rollos und erwärmte meinen Nacken. Justin wand sich gemächlich unter der Bettdecke und legte seinen Arm über meinen Bauch. Dann seufzte er ein paar Mal entspannt und schlummerte dezent schnarchend ein. Heute war einer der guten Tage. Es gab auch Schlechte. An eben solchen bestand die einzige Berührung aus einem kurzen Abschiedsschmatzer auf seinem Weg zur Arbeit. Heute am besten nicht mehr ansprechen, lautete dann die goldene Regel. Ich hielt mich nicht immer daran und bot somit Potenzial zum „fighten“. Wir beide waren einwandfreie „Fighter“ und wäre unsere Beziehung (die ja offiziell keine war) ein Boxkampf, würde den Zuschauern (also euch) ein spannender Kampf auf Augenhöhe geboten. Bei dem sich beide Boxer schon mehrfach, nach einem Beinahe-Knockout blutüberströmt wieder aufgerichtet hatten. Wer diesen Kampf gewinnen würde stand noch aus. Oder wer vorzeitig das Handtuch schmeißen würde. Im Zweifel war sowieso immer ich die Verliererin. 
„Schon klar! Du hast hier einfach nicht anderes zutun, als über alles mögliche nachzugrübeln. Suche dir mal ein Hobby, oder noch besser….einen Job!“
Wenn das mal so einfach wäre. Ohne Greencard! Mit nur mittelmäßigen Englischkenntnissen. Bei dreimonatigem Aufenthalt (inzwischen waren es ja nicht einmal mehr drei) Aber ok, versuchen konnte ich es mal. Ich verfasste ein paar Mails und hatte tatsächlich bereits am nächsten Vormittag ein Interview an einer deutsch-englischen Sprachschule. Nachdem ich mir wichtige Schlagwörter, wie zielstrebig, geduldig und pünktlich (die, die mich kennen, dürften schmunzeln) stundenlang ins Hirn eingebrannt hatte, war das Gespräch zu meiner Erleichterung auf Deutsch und dauerte stolze drei Minuten. Keine Greencard, kein Job!
„Du musst heiraten!“ befahl die Dame im Hamburger Schnack. „Verschwende nicht deine Zeit, du bist noch so jung!“ Ohne Job, aber konzentriert grübelnd verließ ich das Büro. Hatte die burschikose Dame recht gehabt? War es Justins Pflicht mich zu heiraten, damit ich bleiben konnte? Und wenn ja, wollte ich das überhaupt?                         
„Sind wir hier in Thailand? Ich heirate dich doch nicht nur wegen einer Aufenthaltsgenehmigung. Ich möchte aus Liebe heiraten!“ Justin wirkte gereizt, als ich ihn am Abend mit dem konventionellen Vorschlag meiner potentiellen Arbeitgeberin konfrontierte. Schlechter Tag für so ein Thema, ich hätte es wissen müssen. Nachdem er mir heute morgen nur einen „Luftikuss" zugeworfen hatte. 
„Naja, ist ja nicht so, als dass es sich in Deutschland schlecht leben ließe. Und man würde ja aus Liebe heiraten, eben weil man sich nicht wieder trennen möchte“, warf ich ein.  Justin grummelte missmutig und nippte an seinem Bier. 
Rein theoretisch gesehen: Hätte er jetzt zugestimmt, könnte ich dann behaupten, dass ich ihm einen Antrag gemacht hatte? Jedenfalls konnte ich mir nun denken, was Ehepaare mit: „Och, bei uns war der Antrag jetzt nicht so romantisch!“, meinten. Eine Auflistung von Vor- und Nachteilen einer Ehe mit einem schwergewichtigeren positiven Teil. Dabei konnte es sich um steuerliche Vorteile oder einem „Braten in der Röhre“ handeln. Und doch hatte es immer auch etwas mit Liebe zutun, denn man wollte ja schließlich zusammen sein. Neben allem romantischen Vorgeplänkel. Eine Eheschließung ist eben immer auch eine Entscheidung. Justin umging diese Entscheidung galant, indem er sie vertagte, auf unbestimmt Zeit. Sie irgendwo ganz weit in den Ozean warf, in dem sich Haie an ihr die Zähne ausbissen. Und ich sie nie finden würde. Dachte er! Dabei hatte ich hier genügend Zeit, um danach zu tauchen und sie ihm eines Tages von salzigem Meerwasser durchtränkt vor die Füße zu werfen. Doch für heute hatte er den Kampf erst einmal gewonnen. 
Aber auch wenn Justin mich nicht wollte und die Sprachschule mich nicht nahm, es flatterte dann doch noch mein Eintritt in die Topriege der Hollywoodstars ins Haus. Per Facebookmitteilung. Es handelte sich um einen Job für das deutsche Fernsehen. Ich sollte die neuesten Fashiontrends aus L.A. präsentieren. Und noch kurze Interviews geben. Na gut, meine Bezahlung war noch nicht ganz Hollywoodreif (50$ Aufwandsentschädigung), aber das würde mich in einigen Monaten, als millionenschwere Hollywooddiva vermutlich nicht mehr interessieren, wohl aber die exakte Raumtemperatur von 22,5°C im fünf Sterne Hotel in Beverly Hills, das mein durchtrainierter, mittzwanziger Manager für mich gebucht hatte. 
Wir vereinbarten Drehtermin, -ort und-bedingungen und trafen uns im Hause des Kameramanns für die Präsentation des ersten Trends. Seine herzensgute, südamerikanische Frau reichte uns grünen Tee aus bemalten Tontassen, während das Team die Licht- und Tonverhältnisse einstellte und die Rahmenbedingungen diskutierte. Und ich saß auf dem Liegestuhl, die Beine angespannt übereinander geschlagen, auf den Startschuss wartend. 
„Fall bloß nicht in den Pool!“, witzelte der Tonmann. Sah so wohl der Beginn einer großen Karriere aus? 
Gerade erschien mir das mit der Hochzeit doch realistischer. In meinen Gedanken sprang ich in den Pool. Und tauchte. Und fand die Entscheidung. Und warf sie Justin vor die Füße. Und er sagte tatsächlich ja.

Donnerstag, 2. April 2015



                                                                          16
Das Topmodel unter den Cities
Ich ging langsam genug, so dass nicht der Eindruck entstand, ich waere in Panik, aber so schnell, als dass er Probleme haben duerfte mir hinterherzukommen. Er stand noch immer im Tuerrahmen und starrte mir hinterher. Mein Stossgebet war erhoehrt worden, er hatte mich gehen lassen. Nicht ohne mich fuer den naechsten Tag wieder einzuladen…geschenkt. Ich wuerde ihm von nun an aus dem Weg gehen. Wie konnte ich ueberhaupt so naiv sein und den vagen Bekundungen eines alten, fremden Mannes glauben schenken. Ich war entruestet ueber mich selbst.
Es war noch einmal gut gegangen und ich wuerde daraus lernen, ganz sicher, ziemlich sicher, bestimmt! Justin starrte mich wenig spaeter argwoehnisch an, nachdem er sich aus seiner Anzughose heraus geschaelt hatte und sich erschoepft aufs Sofa fallen liess.
“Du bist zu diesem Mann nach Hause gegangen? Bist du noch ganz dicht?”, schimpfte er angesaeuert.
“Er ist Arzt, da dachte ich…!” Ich brach den Satz ab. Er hatte ja Recht. Es war reichlich daemlich das uneingeschraenkt zu Glauben, was einem ein alter, notgeiler Sack mit maessigen Englischkenntnissen verkaufte. Vielleicht war er Zuhaelter oder Marihuana-Dealer. Was auch immer…nie wieder!!
Themawechsel! Waehrend der Wochen, die ich nun schon in California verbrachte, draengte sich mir unweigerlich die Frage auf, was nach drei Monaten waere. Erstmal ein Rueckflug nach Hause. Und dann?
Ich began mir imaginaer eine Pro/Contra Liste zu erstellen. Wo liesse es sich wohl besser leben, in Kalifornien oder Nordrhein-Westfalen. Erster Punkt fuer die USA, klingt schon impressiver und verspricht Sonne, Palmen und Meer. So oft wie hier die Sonne scheint, mochte es in Deutschland vermutlich regnen…beinahe jeden Tag. 22 Grad bei strahlendem Sonnenschein verleiteten mich inzwischen dazu zu behaupten, es waere schlechtes
Wetter, wobei in Deutschland bei 15 Grad schon die Biergaerten ueberlaufen waeren. Jammern auf sehr hohem Niveau.
Verblueffend, dass die Tatsache, dass es waehrend der Oscarverleihung wie aus Eimern schuettete im Kalifornischen TV mehr Aufmerksamkeit erregte als…naja als…ok, der Regen WAR vermutlich das spannendste der diesjaehrigen Oscars. Lahme Veranstaltung!
Justin ueberlegte ja sogar, ob er bei mittelschwerem Nieselregen ueberhaupt ins Auto steigen sollte. Koennte ja rutschig sein. Wuerde mich auch nichtmehr wundern, wenn es hier Streufahrzeuge fuer einen moeglichen Platzregen geben wuerde. Ob die Groenlaender das deutsche Verkehrchaos bei 5 Zentimeter Neuschnee wohl auch so belaecheln? Uns Deutschen jedenfalls faellt erst nach 60 minuetiger Fahrt auf, dass die ganze Zeit ueber der Scheibenwischer quietschte, aus reiner Gewohnheit. Dabei schien doch gerade tatsaechlich einmal die Sonne. Ups wieder Regen, waere ja auch zu schoen gewesen. (Habe ich es jetzt tatsaechlich geschafft eine halbe Seite nur mit dem Thema “Wetter” zu fuellen??)
Wollen wir uns Deutschen aber auch mal einen Punkt goennen. Wir haben defintiv die bessere Fussballmannschaft. Da kommt die USA auch mit deutschem Trainer nicht heran. Ok, vielleicht bestuende eine klitzekleine Chance, wenn Juergen Klinsmann sich selbst einwechseln wuerde. Hoffentlich braeche er sich bei aller Haerte des amerikanischen Spiels nicht alle Knochen. Geschmeidige Ueberleitung zum naechsten Vorteil Deutschlands. Das Gesundheitssystem ist wesentlich besser. In den USA kann dir eine schwere Erkrankung nicht nur dein Leben, sondern dein gesamtes Vermoegen kosten. Muesste ich dann zugrunde gehen, weil mein Konto keine schwarzen Zahlen zeichnet?
Und bei der Arbeitsmentalitaet in Amerika, werden Krankheiten womoeglich noch beguenstigt. Die meisten Amerikaner haben nur zehn Tage Urlaub im Jahr. Ein Drittel von dem, was wir Deutschen haben. Naja, fuer die Kalifornier vermutlich halb so schlimm, wo sie doch taeglich vom Buerostuhl in den Pool huepfen koennten.
Um ueberhaupt mal dahin zu kommen, einen Job zu erlernen muss man in den USA ein Vermoegen fuer die Bildung zahlen, moechte man sein Kind nicht auf die allerletzte “Ghetto-Schule” schicken. Hier kostet grundsaetzlich alles und das nicht zu knapp. Naja, auf die Toilette darf man in Kalifornien meist noch umsonst, waehrend man in Deutschland grundsaetzlich Kleingeld (sind 70 Cent noch “klein”??) oder Tena-Lady in der Tasche haben sollte, sobald man seine eigenen vier Waende verlaesst.
Schaut man sich meine Pro und Contra Liste nun an, in der es spezifisch um die inneren Werte der beiden Regionen geht, scheint Deutschland eine Mutter Theresa zu sein, die gibt und gibt und Amerika viel mehr ein Uli Hoeness, riesige Klappe, aber gerade mal laenger nicht zu sprechen…
Wenn ich das Ganze jedoch oberflaechlich betrachten wuerde und rein nach dem Aeusseren gehen wuerde…
Guildo Horn vs Adam Levine!
Scheiss auf alle inneren Werte, ich will mehr als nur eine Nacht mit und in LA verbringen. Ob das ein Traum bleibt oder bald schon zur Realitaet, steht noch in den Sternen…ganz weit oben ueber Hollywood.