Freitag, 10. April 2015

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Marry that girl, marry her anyway
Das Sonnenlicht drängte sich behutsam durch die Rollos und erwärmte meinen Nacken. Justin wand sich gemächlich unter der Bettdecke und legte seinen Arm über meinen Bauch. Dann seufzte er ein paar Mal entspannt und schlummerte dezent schnarchend ein. Heute war einer der guten Tage. Es gab auch Schlechte. An eben solchen bestand die einzige Berührung aus einem kurzen Abschiedsschmatzer auf seinem Weg zur Arbeit. Heute am besten nicht mehr ansprechen, lautete dann die goldene Regel. Ich hielt mich nicht immer daran und bot somit Potenzial zum „fighten“. Wir beide waren einwandfreie „Fighter“ und wäre unsere Beziehung (die ja offiziell keine war) ein Boxkampf, würde den Zuschauern (also euch) ein spannender Kampf auf Augenhöhe geboten. Bei dem sich beide Boxer schon mehrfach, nach einem Beinahe-Knockout blutüberströmt wieder aufgerichtet hatten. Wer diesen Kampf gewinnen würde stand noch aus. Oder wer vorzeitig das Handtuch schmeißen würde. Im Zweifel war sowieso immer ich die Verliererin. 
„Schon klar! Du hast hier einfach nicht anderes zutun, als über alles mögliche nachzugrübeln. Suche dir mal ein Hobby, oder noch besser….einen Job!“
Wenn das mal so einfach wäre. Ohne Greencard! Mit nur mittelmäßigen Englischkenntnissen. Bei dreimonatigem Aufenthalt (inzwischen waren es ja nicht einmal mehr drei) Aber ok, versuchen konnte ich es mal. Ich verfasste ein paar Mails und hatte tatsächlich bereits am nächsten Vormittag ein Interview an einer deutsch-englischen Sprachschule. Nachdem ich mir wichtige Schlagwörter, wie zielstrebig, geduldig und pünktlich (die, die mich kennen, dürften schmunzeln) stundenlang ins Hirn eingebrannt hatte, war das Gespräch zu meiner Erleichterung auf Deutsch und dauerte stolze drei Minuten. Keine Greencard, kein Job!
„Du musst heiraten!“ befahl die Dame im Hamburger Schnack. „Verschwende nicht deine Zeit, du bist noch so jung!“ Ohne Job, aber konzentriert grübelnd verließ ich das Büro. Hatte die burschikose Dame recht gehabt? War es Justins Pflicht mich zu heiraten, damit ich bleiben konnte? Und wenn ja, wollte ich das überhaupt?                         
„Sind wir hier in Thailand? Ich heirate dich doch nicht nur wegen einer Aufenthaltsgenehmigung. Ich möchte aus Liebe heiraten!“ Justin wirkte gereizt, als ich ihn am Abend mit dem konventionellen Vorschlag meiner potentiellen Arbeitgeberin konfrontierte. Schlechter Tag für so ein Thema, ich hätte es wissen müssen. Nachdem er mir heute morgen nur einen „Luftikuss" zugeworfen hatte. 
„Naja, ist ja nicht so, als dass es sich in Deutschland schlecht leben ließe. Und man würde ja aus Liebe heiraten, eben weil man sich nicht wieder trennen möchte“, warf ich ein.  Justin grummelte missmutig und nippte an seinem Bier. 
Rein theoretisch gesehen: Hätte er jetzt zugestimmt, könnte ich dann behaupten, dass ich ihm einen Antrag gemacht hatte? Jedenfalls konnte ich mir nun denken, was Ehepaare mit: „Och, bei uns war der Antrag jetzt nicht so romantisch!“, meinten. Eine Auflistung von Vor- und Nachteilen einer Ehe mit einem schwergewichtigeren positiven Teil. Dabei konnte es sich um steuerliche Vorteile oder einem „Braten in der Röhre“ handeln. Und doch hatte es immer auch etwas mit Liebe zutun, denn man wollte ja schließlich zusammen sein. Neben allem romantischen Vorgeplänkel. Eine Eheschließung ist eben immer auch eine Entscheidung. Justin umging diese Entscheidung galant, indem er sie vertagte, auf unbestimmt Zeit. Sie irgendwo ganz weit in den Ozean warf, in dem sich Haie an ihr die Zähne ausbissen. Und ich sie nie finden würde. Dachte er! Dabei hatte ich hier genügend Zeit, um danach zu tauchen und sie ihm eines Tages von salzigem Meerwasser durchtränkt vor die Füße zu werfen. Doch für heute hatte er den Kampf erst einmal gewonnen. 
Aber auch wenn Justin mich nicht wollte und die Sprachschule mich nicht nahm, es flatterte dann doch noch mein Eintritt in die Topriege der Hollywoodstars ins Haus. Per Facebookmitteilung. Es handelte sich um einen Job für das deutsche Fernsehen. Ich sollte die neuesten Fashiontrends aus L.A. präsentieren. Und noch kurze Interviews geben. Na gut, meine Bezahlung war noch nicht ganz Hollywoodreif (50$ Aufwandsentschädigung), aber das würde mich in einigen Monaten, als millionenschwere Hollywooddiva vermutlich nicht mehr interessieren, wohl aber die exakte Raumtemperatur von 22,5°C im fünf Sterne Hotel in Beverly Hills, das mein durchtrainierter, mittzwanziger Manager für mich gebucht hatte. 
Wir vereinbarten Drehtermin, -ort und-bedingungen und trafen uns im Hause des Kameramanns für die Präsentation des ersten Trends. Seine herzensgute, südamerikanische Frau reichte uns grünen Tee aus bemalten Tontassen, während das Team die Licht- und Tonverhältnisse einstellte und die Rahmenbedingungen diskutierte. Und ich saß auf dem Liegestuhl, die Beine angespannt übereinander geschlagen, auf den Startschuss wartend. 
„Fall bloß nicht in den Pool!“, witzelte der Tonmann. Sah so wohl der Beginn einer großen Karriere aus? 
Gerade erschien mir das mit der Hochzeit doch realistischer. In meinen Gedanken sprang ich in den Pool. Und tauchte. Und fand die Entscheidung. Und warf sie Justin vor die Füße. Und er sagte tatsächlich ja.

1 Kommentar:

  1. Nice Blog! Interessante Geschichten, gut geschrieben.
    Schau doch mal bei mir vorbei:
    http://smartdevilinla.blogspot.de/
    Bin jetzt seit 221 Tagen hier, von der Stadt komplett gefesselt und werde nie wieder verschwinden (bis das Beben uns trennt). ;-)
    Viele Grüße
    Ramon Bartsch

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