Samstag, 17. September 2016


Von der Melone, die durch ein Nadeloehr passen sollte


“Ich will einen Kaiserschnitt! Sofort!”, bruellte ich unbaendig, waehrend mir die junge Aerztin mit dem Ultraschallgeraet ueber den Bauch fuhr. Kenne ich dich nicht aus der Schule? Warst du nicht mindestens zwei Klassen unter mir? Verdammt, was habe ich falsch gemacht, schoss es mir argwoehnisch durch den Kopf.
“Das schaffen Sie!”, versicherte mir das junge Ding, waehrend es etwas im Mutterpass notierte. Na immerhin siezt sie mich. Sie scheint sich doch noch zu erinnern, dass ich mehrere Klassen ueber ihr war. Oder erkennt sie mich nicht? Hab ich wirklich so zugelegt?
“Der kleine Mann wiegt ca. 3600g. Das ist gut zu schaffen. “ Was sie wohl gesagt haette, waeren es 500g mehr gewesen.
“Oh, ich glaube Sie haben Recht. Diesen Brocken da unten rauszupressen, koennte sich als schwierig gestalten. Viel…aeh Glueck!” Oder so aehnlich!
“Ich will eine PDA! Auf der Stelle!” Ich stampfte energisch mit dem Fuss aus. Dafuer erhielt ich einen Boxhieb in die Blase.
“Erst einmal muss jemand ihr Blut abnehmen, um die Gerinnung etc. zu ueberpruefen.”
Mir egal, ich verblute  zur Not auch! Erloest mich bitte nur schnell von dieser Tortur! Im Uebrigen, waere es nicht ohnehin reichlich problematisch wenn nun heraus kommen wuerde ich haette die Krankheit Bluter? Haette man das nicht im Vorfeld mal abklaeren koennen? Ich ueberlebe das nicht!
Mir war zum Heulen zumute. Ich wollte nur noch nach Hause.
“Ich brauche JETZT etwas gegen die Schmerzen!”,  bibberte ich ins Leere.
“Sie koennten erst einmal ein Entspannungsbad nehmen”, sagte die Hebamme geloest. Ihre rotblonden Haare bissen sich mit der rosee farbenen Krankenhauskluft.
So gechillt wie du gerade bist, scheinst du das Wasser ja schonmal vorgetestet zu haben. Und ausserdem…lieg du mal relaxt im Entspannungsbad, wenn du das Gefuehl hast, jemand spielt gerade “ping pong” mit deinen Eierstoecken. Eben!
Sie schien meine Gedanken erahnen zu koennen.
“Wir koennten es ja mal mit Lachgas versuchen!”, schlug sie mit milder Stimme vor.
Na siehste! Es geht doch!
Ich lag da und fuehlte mich, als wuerde ich etwas furchtbar Verbotenes tun. Seit Monaten ohne jegliche Drogen (nicht, dass ich sonst so viel eingeschmissen haette…). Und nun lag ich da, der winzige Raum schwankte unkontrollierbar von rechts nach links, mein Mund pappte, als haette ich Zement getrunken und meine Beine….keine Ahnung was mit denen passierte. Die schlackerten irgendwo rum und gehoerten scheinbar gar nicht mehr zu meinem Koerper. Ich fuehlte mich total bekifft.
Nach einer gefuehlten Ewigkeit, in der ich komplett fern von dieser Welt, schluchzend und stoehnend vor mich hinvegetierte, bekam ich endlich die erloesende Spritze in den Ruecken.
Justin schnarchte derweilen ungeniert auf der harten Bank im Kreissaal. Wie kann der jetzt schlafen? Das waere das gleiche, als waere ich bei Niklas Entstehung im Endspurt eingeratzt, waehrend Justin sich einen abrackert. Naja, lassen wir das!
Als er durch die schreiende Frau im Nachbarszimmer aufschreckte, fragte er die Hebamme bierernst, ob sie eventuell einen Raum zum schlafen haette, wo er mal etwas zur Ruhe kommen koennte. Er waere so muede.
Nimm DU doch einfach das Entspannungsbad. Das hat die Hebamme ohnehin fuer dich schon vorgewaermt, schoss es mir hoehnisch durch den Kopf.
“Das ist jetzt zu spaet! Das Baby ist gleich da!”, donnerte sie gegen die beaengstigenden Schreie im Nebenzimmer an.
Ist es? Jetzt schon? Das geht mir jetzt doch alles irgendwie zu schnell. Justins Mutter kreischte derweilen aufgeregt und winkte ihn hektisch zu sich heran. Nein! Bitte nicht in die Tabuzone! Bitte nicht mit freiem Blick direkt auf das Geschehen! Du bist Schuld, wenn es nun nie mehr zum Geschwisterchen kommt.
So hockten zwei –that’s so exciting- Amis, eine total relaxte Hebamme und eine Aerztin, die ich in der 7. Klasse als Idoetzchen gepiesakt hatte vor meinen weiblichen Kronjuwelen und warteten, bis das nur roundabout 3600g schwere Leichtgewicht locker den Ausgang passierte. Na toll!
Ich presste und presste und dachte, mein Kopf zerspringt.
“Da ist er ja, ihr kleiner Schatz!” Die Hebamme legte mir ein ein nasses, suesslich richtendes, flutschiges Paket auf die Brust. Mir liefen Traenen der Anstrengung, der Erleichterung und des puren Gluecks die Wange hinab und purzelten auf den winzigen, roten Koerper. Das war meins, das hatte ich gemacht! Wahnsinn!
Justin derweilen musterte seinen Sohn skeptisch.
“Der Kopf aeh, warum sieht der so merkwuerdig aus?”, stammelte er und zeigte auf den durch die Geburt einem Straussenei aehnelndem Kopf.
“Das verformt sich noch. In einer halben Stunde, haben Sie ein ganz huebsches Baby!”
Justin schien erleichtert. Nun konnte auch er das nahezu perfekte Knaeuel geniessen.
“Er sieht aus, wie du!” Justins Mutter winselte glueckselig. Sie legte einen Arm um ihren Sohn und mit der anderen streichelte sie sanft Niklas babyzartes Gesicht. Ein sehr intimer Moment.  Bisweilen konnte niemand ahnen, dass dies nur die Ruhe vor dem Orkan war. Und das sich die vertraute Naehe schon sehr bald in abnorme Distanz verwandeln sollte.

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