Sonntag, 1. März 2015


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“Jetlag” vs “Hangover”
Ich wachte erholt am naechsten Morgen auf. Wuerde ich diesen Tag ohne Power-Nap ueberstehen, so waere ich voll drin in der neuen Zeitzone. Ich gab bereits zwei Stunden nach dem Aufstehen auf, als mich eine gewaltige Welle der Erschoepfung ueberkam. Dieser “Jetlag” und dieser “Hangover” schienen miteinander blutsverwandt zu sein. Leichter Brummschaedel, schneller Puls und diese unfassbare Muedigkeit. Zudem fuehlte ich mich nach dem langen Flug vollkommen ausgeduerrt. Ob sich wohl “Hangover” und sein kleiner Bruder aufhoben, wenn sie zusammen auftraten? Nie probiert…gelogen! Kann mich nur nicht mehr daran erinnern, da “Hangover” Gehirnzellen zum Fruehstueck liebt. Absurde Gedanken…
Fahren wir fort. Die ersten Tage waren schoen, aber unspektakulaer. Wir hoerten exakt an der Stelle auf, wo wir uns letztes mal verabschiedet hatten, irgendwo zwischen Gaumen, Zunge und Gaumensegel. J Trotz aller positiven Gefuehle, fuegte sich ein leicht bitterer Beigeschmack den liebreizenden ersten Stunden und Tagen hinzu. Und das hatte nichts damit zutun, dass mein Koffer und somit auch saemliche Zahnpflegeprodukte noch irgendwo auf dem Atlantik in 10000 Kilometer Hoehe im Winde wogen.  Vielmehr machte sich ein Druck breit, der gepaart war mit tausenden von Erwartungen an meine Zeit hier. Ich drang in ein fremdes Leben ein und war unsicher, inwieweit es mir gelang mich dezent zu assimilieren. Schonmal gut, dass ich mehr oder minder seine rechte Hand war, die ihn versuchte weitesgehend in Haushalsdingen zu unterstuetzen. Und auch so bildete sich sein ueberstrapazierter Tennisarm langsam aber sicher zurueck, wenn ihr versteht, was ich meine…
Widmen wir uns mal wieder dem Schubladendenken. Maenner lieben es bekocht zu werden, so dachte ich. Die Europaeer stehen dabei mehr auf Qualitaet, die Amerikaner praeferieren Quantitaet. Soweit die Theorie! In der Praxis liebte es mein Ami kolossal, a la ‘All you can eat’ style, aber gegessen werden durfte ausschliesslich das, was die unsichtbare Aufschrift ‘Achtung: schlechte Qualitaet’ trug.
Da wir tagelang ausschliesslich auswaerts gespeist hatten (klingt vornehmer, als es war), dachte ich mit Salat und frisch gebratener Putenbrust punkten zu koennen. Mochte er, kaufte er schliesslich taeglich abgepackt im Supermarkt. Also gab ich ein Vermoegen fuer alle moeglichen, frischen Zutaten aus, denn ausser Salz und Oel (was er schaetzungsweise auch nur als woechentliches Peeling verwendete), zierten die Kuechenschraenke nur Luft, drei Staubkoerner und Schnapsglaeser aus verschiedenen Laendern. By the way: Die Deutschen scheinen besonders schoene zu haben.
Ich schnippelte und brutzelte todesmutig drauf los. Musste eben das Taschenmesser als Schnippelhilfe herhalten. (Amerikaner und ihre Waffen, ein Kapitel fuer sich!)  Keine drei Minuten spaeter ging ein ohrenbetaeubender Laerm los, bei dem mir beinahe meine ‘Waffe’ aus der Hand gefallen waere. Die zu Deutschland differentiellen Geraeusche machten mich in Amerika wirklich wuschig. Ging eine Polizeisirene los, hoerte sich das so unfassbar nach Drama und Schauspiel an, dass ich automatisch davon ausging, versehentlich die Fernbedienung betaetigt zu haben.
Der aktuelle Laerm war aber noch viel greller. Der Rauchmelder, der sich eigentlich in gutem Abstand zum Herd befand, jaulte erbarmungslos auf. Nachdem Justin ihn genervt ausser gefecht gesetzt hatte, widmete ich mich hektisch den inzwischen dunkelbraun und furztrocken gebratenen Putenbruststreifen. Als das Geraeusch sich erneut beissend in meine Ohren zu bohren began, wusste ich, dass Justins Geduldsschwelle gleich ueberschritten war. Was fuer ein Umstand fuer einen normalerweise simplen Snack, aber zumindest wuerde mein American All-you-can-eat-noch-nicht-so-ganz-Boyfriend den geschmacklichen Unterschied sicher zu schaetzen wissen. Das tat er tatsaechlich, nur irgendwie in die verkehrte Richtung. Das Fleisch war nicht optimal, aber dennoch wuerzig und geniessbar, die suess-saure Salatsosse war ohnehin mein Spezialgebiet. Erwartungsvoll starrte ich ihn an, waehrend er den Kopfsalat in sich hineienschaufelte und dabei desinteressiert auf sein Handy starrte. Sag was, dachte ich angespannt. Du waerest der Erste, der meinen Salat nicht in den Himmel loben wuerde. Er setzte tasaechlich zu sprechen an. 
“Baby, hast du denn vor das Chaos auch wieder aufzuraeumen?”, appelierte er an mich. Ich nickte verlegen.
“Schmeckt es denn, das Resultat des ‘Chaos’?” fragte ich schnippisch.
Er nickte zoegerlich. Na immerhin! War jetzt nicht so ganz die Reaktion, die ich mir ertraeumt hatte, aber nun gut…
“In Amerika kann man die Putenbruststreifen auch fertig kaufen!”, prahlte er und strich sich hastig die Sosse vom Bart. Wow, dachte ich ironisch entgeistert. Warum hinkt Deutschland da so unheimlich hinterher. Wir braten die Pute tatsaechlich noch selber an. Ein Glueck, dass wir sie wenigstens schon professionell geschlachtet und gerupft bekommen.
“Es ist auch wesentlich gesuender, wenn man sie fertig kauft, als sie erst in den Tonnen von Fett zu braten”, fuegte er bierernst hinzu. Jetzt hatte er den Vogel abgeschossen. (Wofuer eigentlich, wenn er doch schon abgeschossen, gerupft und dampfgegart im Kuehlregal lag?). Ich resignierte. Diesem Ami eine Esskultur zu vermitteln, duerfte ein schwereres Unterfangen sein, als zunaechst angenommen. Versuche mal einem 90-jaehrigen Japaner arabisch beizubringen. Vergleichsweise utopisch.
“Ok, ich kuemmere mich nun um den ‘Mess’ und spare mir demnaechst Zeit, Geld und einen Tinitus durch den Rauchmelder und kaufe das Huhn fertig im Kuehlregal. Deal?”, schlug ich sarkastisch vor. Justin schmatzte zufrieden vor sich hin. Wohl ein oder zwei ‘Jetlag’-‘Hangover’-Combinations zu viel gehabt, dachte ich. Schien den Blickwinkel enorm zu verschmaelern. Ich hatte ihn trotzdem gern. Und tuckerte gleich am naechsten Tag in den Supermarkt, in dem mir die Pute foermlich ins Auge flatterte. Erfolgreich adaptiert.
Auch mein ‘Jetlag’ hatte sich verduennisiert. Es lief wieder rund. Bis zum naechsten “Hangover”. Und der kam heftiger als je zuvor.

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