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“Jetlag” vs “Hangover”
Ich wachte erholt am naechsten Morgen auf. Wuerde ich diesen
Tag ohne Power-Nap ueberstehen, so waere ich voll drin in der neuen Zeitzone.
Ich gab bereits zwei Stunden nach dem Aufstehen auf, als mich eine gewaltige
Welle der Erschoepfung ueberkam. Dieser “Jetlag” und dieser “Hangover” schienen
miteinander blutsverwandt zu sein. Leichter Brummschaedel, schneller Puls und
diese unfassbare Muedigkeit. Zudem fuehlte ich mich nach dem langen Flug
vollkommen ausgeduerrt. Ob sich wohl “Hangover” und sein kleiner Bruder
aufhoben, wenn sie zusammen auftraten? Nie probiert…gelogen! Kann mich nur
nicht mehr daran erinnern, da “Hangover” Gehirnzellen zum Fruehstueck liebt.
Absurde Gedanken…
Fahren wir fort. Die ersten Tage waren schoen, aber unspektakulaer.
Wir hoerten exakt an der Stelle auf, wo wir uns letztes mal verabschiedet
hatten, irgendwo zwischen Gaumen, Zunge und Gaumensegel. J Trotz aller positiven
Gefuehle, fuegte sich ein leicht bitterer Beigeschmack den liebreizenden ersten
Stunden und Tagen hinzu. Und das hatte nichts damit zutun, dass mein Koffer und
somit auch saemliche Zahnpflegeprodukte noch irgendwo auf dem Atlantik in 10000
Kilometer Hoehe im Winde wogen. Vielmehr
machte sich ein Druck breit, der gepaart war mit tausenden von Erwartungen an
meine Zeit hier. Ich drang in ein fremdes Leben ein und war unsicher, inwieweit
es mir gelang mich dezent zu assimilieren. Schonmal gut, dass ich mehr oder
minder seine rechte Hand war, die ihn versuchte weitesgehend in Haushalsdingen
zu unterstuetzen. Und auch so bildete sich sein ueberstrapazierter Tennisarm
langsam aber sicher zurueck, wenn ihr versteht, was ich meine…
Widmen wir uns mal wieder dem Schubladendenken. Maenner
lieben es bekocht zu werden, so dachte ich. Die Europaeer stehen dabei mehr auf
Qualitaet, die Amerikaner praeferieren Quantitaet. Soweit die Theorie! In der
Praxis liebte es mein Ami kolossal, a la ‘All you can eat’ style, aber gegessen
werden durfte ausschliesslich das, was die unsichtbare Aufschrift ‘Achtung:
schlechte Qualitaet’ trug.
Da wir tagelang ausschliesslich auswaerts gespeist hatten
(klingt vornehmer, als es war), dachte ich mit Salat und frisch gebratener
Putenbrust punkten zu koennen. Mochte er, kaufte er schliesslich taeglich abgepackt
im Supermarkt. Also gab ich ein Vermoegen fuer alle moeglichen, frischen
Zutaten aus, denn ausser Salz und Oel (was er schaetzungsweise auch nur als
woechentliches Peeling verwendete), zierten die Kuechenschraenke nur Luft, drei
Staubkoerner und Schnapsglaeser aus verschiedenen Laendern. By the way: Die Deutschen
scheinen besonders schoene zu haben.
Ich schnippelte und brutzelte todesmutig drauf los. Musste
eben das Taschenmesser als Schnippelhilfe herhalten. (Amerikaner und ihre
Waffen, ein Kapitel fuer sich!) Keine
drei Minuten spaeter ging ein ohrenbetaeubender Laerm los, bei dem mir beinahe
meine ‘Waffe’ aus der Hand gefallen waere. Die zu Deutschland differentiellen
Geraeusche machten mich in Amerika wirklich wuschig. Ging eine Polizeisirene
los, hoerte sich das so unfassbar nach Drama und Schauspiel an, dass ich
automatisch davon ausging, versehentlich die Fernbedienung betaetigt zu haben.
Der aktuelle Laerm war aber noch viel greller. Der
Rauchmelder, der sich eigentlich in gutem Abstand zum Herd befand, jaulte erbarmungslos
auf. Nachdem Justin ihn genervt ausser gefecht gesetzt hatte, widmete ich mich
hektisch den inzwischen dunkelbraun und furztrocken gebratenen
Putenbruststreifen. Als das Geraeusch sich erneut beissend in meine Ohren zu
bohren began, wusste ich, dass Justins Geduldsschwelle gleich ueberschritten
war. Was fuer ein Umstand fuer einen normalerweise simplen Snack, aber
zumindest wuerde mein American All-you-can-eat-noch-nicht-so-ganz-Boyfriend den
geschmacklichen Unterschied sicher zu schaetzen wissen. Das tat er
tatsaechlich, nur irgendwie in die verkehrte Richtung. Das Fleisch war nicht
optimal, aber dennoch wuerzig und geniessbar, die suess-saure Salatsosse war
ohnehin mein Spezialgebiet. Erwartungsvoll starrte ich ihn an, waehrend er den
Kopfsalat in sich hineienschaufelte und dabei desinteressiert auf sein Handy
starrte. Sag was, dachte ich angespannt. Du waerest der Erste, der meinen Salat
nicht in den Himmel loben wuerde. Er setzte tasaechlich zu sprechen an.
“Baby, hast du denn vor das Chaos auch wieder
aufzuraeumen?”, appelierte er an mich. Ich nickte verlegen.
“Schmeckt es denn, das Resultat des ‘Chaos’?” fragte ich
schnippisch.
Er nickte zoegerlich. Na immerhin! War jetzt nicht so ganz
die Reaktion, die ich mir ertraeumt hatte, aber nun gut…
“In Amerika kann man die Putenbruststreifen auch fertig
kaufen!”, prahlte er und strich sich hastig die Sosse vom Bart. Wow, dachte ich
ironisch entgeistert. Warum hinkt Deutschland da so unheimlich hinterher. Wir
braten die Pute tatsaechlich noch selber an. Ein Glueck, dass wir sie
wenigstens schon professionell geschlachtet und gerupft bekommen.
“Es ist auch wesentlich gesuender, wenn man sie fertig
kauft, als sie erst in den Tonnen von Fett zu braten”, fuegte er bierernst
hinzu. Jetzt hatte er den Vogel abgeschossen. (Wofuer eigentlich, wenn er doch
schon abgeschossen, gerupft und dampfgegart im Kuehlregal lag?). Ich
resignierte. Diesem Ami eine Esskultur zu vermitteln, duerfte ein schwereres
Unterfangen sein, als zunaechst angenommen. Versuche mal einem 90-jaehrigen
Japaner arabisch beizubringen. Vergleichsweise utopisch.
“Ok, ich kuemmere mich nun um den ‘Mess’ und spare mir
demnaechst Zeit, Geld und einen Tinitus durch den Rauchmelder und kaufe das
Huhn fertig im Kuehlregal. Deal?”, schlug ich sarkastisch vor. Justin schmatzte
zufrieden vor sich hin. Wohl ein oder zwei ‘Jetlag’-‘Hangover’-Combinations zu
viel gehabt, dachte ich. Schien den Blickwinkel enorm zu verschmaelern. Ich
hatte ihn trotzdem gern. Und tuckerte gleich am naechsten Tag in den Supermarkt,
in dem mir die Pute foermlich ins Auge flatterte. Erfolgreich adaptiert.
Auch mein ‘Jetlag’ hatte sich verduennisiert. Es lief wieder
rund. Bis zum naechsten “Hangover”. Und der kam heftiger als je zuvor.
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