Freitag, 6. Februar 2015


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Auf zur Wisteria Lane
Als Justin am naechsten Morgen in die Arbeit ging, blieb ich schwermuetig im Bett liegen. Eine Mischung aus stimmungsdrueckendem Kater und dem Gefuehl von Ohnmacht machte sich in mir breit und hinderte mich daran, auch nur eine Sekunde ans Aufstehen zu denken. Als das Handy schonungslos surrte, rechnete ich nicht mit ihm. Doch es war tatsaechlich Justin. Er schrieb: Baby, ich glaube, ich habe gestern etwas ueberreagiert. Gib du mir meinen Freiraum und vertraue mir, und ich mache das Gleiche bei dir. Deal?
Und ob! Die depressive Grundstimmung wich einem energiebesetztem Hochgefuehl. Ich robbte aus dem Bett, gespannt was der Tag noch so zu bieten hatte. Ein Jammer, dass meine psychische Verfassung so stark von den Befindlichkeiten einer anderen Person abhing. Egal, sein Daumen war oben und meine Gemuetslage ebenso.
Als er abends nach Hause kam, zogen wir erst einmal das Versoehnungsprogramm durch und entschieden uns von nun an haeufiger zu streiten. (Aber nur, wenn er demnaechst etwas gut zu machen hatte und den devoten Part uebernahm. J)
Wir starteten unsere Tour Richtung San Francisco also wie geplant am naechsten Abend. Eingerechnet dem Stau, der uns zwangslaeufig in und um L.A. herum erwarten wuerde, rechnete Justin mit einer Fahrt von round about sieben Stunden. Wir wuerden also erst nachts sein Elternhaus im kleinen Oertchen Hollister erreichen. Da unsere Rueckfahrt fuer sonntags geplant war, dem Tag meines Rueckfluges, musste ich schweren Herzens Sack und Pack mitschleppen. Ein erstes Gefuehl von Abschied machte sich breit. Ich dachte kurzzeitig darueber nach meinen Reisepasss versehentlich in der Schublade zu vergessen, verwarf den Gedanken aber geschwind wieder. Keine Spielchen mehr. Das konnte nur schief gehen. Schublade auf, Reisepass im Handgepaeck verstaut, reines Gewissen.
Auf der Fahrt hatte ich dann genug Zeit mir Sorgen zu machen, was beim Zusammentreffen mit den Eltern alles schief gehen koennte. Mal abgesehen davon, dass ich im Umgang mit potentiellen Schwiegereltern noch weitesgehend jungfraeulich war, bereitete mir die Sprachbarriere die groessten Bauchschmerzen. Haette ich doch damals in der Schule besser die Vokabeln gebueffelt. Naja, die Ueberlegung war vermutlich fruchtlos. Man konnte sich ja schliesslich nicht seine Teenie-Nachmittage mit Mathe pauken versauen, nur weil man in zehn Jahren theoretisch den Entwickler der Wahrscheinlichkeitsrechnung bei Tinder matchen koennte. Ach, der ist schon tot? Ich sag doch, man kann nicht jede Unterrichtsstunde aufmerksam verfolgen. Was soll’s! Wenn jemand verzweifelt versucht deutsch zu sprechen und die Artikel “der” und “die” vertauscht, denkt man sich ja auch nicht: Oh man ist das peinlich!, sondern vielmehr: Wie suess, da versucht es jemand wirklich! Vorausgesetzt natuerlich, die Person ist nicht in Deutschland aufgewachsen. Soll ja auch vorkommen.
“Alles ok? Du bist so still!”, riss mich Justin schliesslich aus meinen Ueberlegungen. Seine Unterlippe bildete eine Beule. Er hatte die Angewohnheit auf Fahrten von mindestens einer Stunde Kautabak zu konsumieren. Wenn er wuesste, wie bloed er dabei aussah.
“Alles ok, ich bin nur muede”, flunkerte ich laechelnd. Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und liess sie mindestens zehn Minuten dort liegen. Ohne sich zwischendurch am Hinterkopf zu kratzen. Ein Fortschritt, wie ich fand. Nach den zehn Minuten juckte es ihm dann scheinbar zwischen den Beinen. Danach legte ich dann ehrlich gesagt auch nicht mehr den groessten Wert auf seine Hand an meinem Koerper.
Nach einer langen, von kleinen Pipi- und Cookiepausen unterbrochenen Fahrt, kamen wir bei pechschwarzer Nacht in Hollister an. Der Baer steppte hier nicht gerade. Aber die Wohnsiedlung der Eltern, war genauso, wie ich sie mir in Amerika vorstellen wuerde. Aehnlich der Wisteria Lane bei “Desperate Housewives”.
Der Schluessel lag ganz mysterioes unter der Fussmatte, Mom and Dad schliefen bereits. Durchs Haus zog ein etwas merkwuerdiger, undefinierbarer Geruch. Vielleicht war das den beginnenden Vorbereitungen fuer das morgige Thanksgiving geschuldet.
Unser Zimmer haette eines in einem Maerchenschloss sein koennen. Ein kleiner Schminktisch mit Pflegeutensilien stand an einer Wand, ein flauschiger Veloursteppich bedeckte den Boden und ein wohlig gepolstertes Bett befand sich  am mit Gardinen umsaeumten Fenster. Nun gut, fuer gewisse Stunden war das Bett sicher nicht perfekt, da es schon Probleme bereitete sich von einer Seite zur anderen zu drehen. Aber -who cares- wozu bumsen, wenn man auch schlafen kann.
Die Nacht war frisch, im Norden von Kalifornien schien es deutlich kuehler zu sein als in Orange County. Also kuschelte ich mich an Justin und nickte zwischen der dritten und vierten imaginaeren Umarmung mit seiner Mutter schliesslich ein.
Als ich am fruehen Morgen dann aufwachte, hoerte ich im Untergeschoss bereits jemanden werkeln. Und da waren Stimmen, eine maennliche und eine weibliche. Mein Herz schlug bis zum Hals. Die erste Begegnung stand unmittelbar bevor und da ich wusste, wie wichtig Justin die Meinung der Eltern war, konnte der erste Eindruck der Beziehung in eine bestimmte Richtung verhelfen. Oder sie gnadenlos durch die Holzdielen krachen lassen.
Am liebsten haette ich die Situation sofort und alleine hinter mich gebracht. Aber das waere unfair gegenueber Justin gewesen, den das Ganze nicht sonderlich zu beunruhigen schien, seinem saegenden Schnarchen nach zu urteilen.
Also sprang ich schnell unter die Dusche und wunderte mich, dass nach gefuehlt einer Minute der Wasserstrahl schwaecher wurde und schliesslich ganz versiegte. Halbfertig stieg ich aus der Wanne. Den Rest wusch ich mir weitesgehend am Waschbecken ab. Justin verriet mir spaeter unter bruellendem Gelaechter, dass man nach einer kurzen Zeit an einem Haken ziehen muesse, dann kaeme eine erneute Ladung Wasser. Egal, jetzt war ich bereits in trockenen Tuechern und den schmierigen Duschgel-Film musste meine Haut eben mal einen Tag lang abkoennen. Das geringste Problem! Als ich Justin dann nach einer gefuehlten Ewigkeit endlich aus den Federn bekam, schlich ich gepudert und gebohnert hinter ihm die knarrenden Treppen hinab.

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