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Auf zur Wisteria Lane
Als Justin am naechsten Morgen in die Arbeit ging, blieb ich
schwermuetig im Bett liegen. Eine Mischung aus stimmungsdrueckendem Kater und
dem Gefuehl von Ohnmacht machte sich in mir breit und hinderte mich daran, auch
nur eine Sekunde ans Aufstehen zu denken. Als das Handy schonungslos surrte,
rechnete ich nicht mit ihm. Doch es war tatsaechlich Justin. Er schrieb: Baby,
ich glaube, ich habe gestern etwas ueberreagiert. Gib du mir meinen Freiraum
und vertraue mir, und ich mache das Gleiche bei dir. Deal?
Und ob! Die depressive Grundstimmung wich einem
energiebesetztem Hochgefuehl. Ich robbte aus dem Bett, gespannt was der Tag
noch so zu bieten hatte. Ein Jammer, dass meine psychische Verfassung so stark
von den Befindlichkeiten einer anderen Person abhing. Egal, sein Daumen war
oben und meine Gemuetslage ebenso.
Als er abends nach Hause kam, zogen wir erst einmal das
Versoehnungsprogramm durch und entschieden uns von nun an haeufiger zu streiten.
(Aber nur, wenn er demnaechst etwas gut zu machen hatte und den devoten Part
uebernahm. J)
Wir starteten unsere Tour Richtung San Francisco also wie
geplant am naechsten Abend. Eingerechnet dem Stau, der uns zwangslaeufig in und
um L.A. herum erwarten wuerde, rechnete Justin mit einer Fahrt von round about
sieben Stunden. Wir wuerden also erst nachts sein Elternhaus im kleinen
Oertchen Hollister erreichen. Da unsere Rueckfahrt fuer sonntags geplant war,
dem Tag meines Rueckfluges, musste ich schweren Herzens Sack und Pack
mitschleppen. Ein erstes Gefuehl von Abschied machte sich breit. Ich dachte
kurzzeitig darueber nach meinen Reisepasss versehentlich in der Schublade zu
vergessen, verwarf den Gedanken aber geschwind wieder. Keine Spielchen mehr.
Das konnte nur schief gehen. Schublade auf, Reisepass im Handgepaeck verstaut,
reines Gewissen.
Auf der Fahrt hatte ich dann genug Zeit mir Sorgen zu
machen, was beim Zusammentreffen mit den Eltern alles schief gehen koennte. Mal
abgesehen davon, dass ich im Umgang mit potentiellen Schwiegereltern noch
weitesgehend jungfraeulich war, bereitete mir die Sprachbarriere die groessten
Bauchschmerzen. Haette ich doch damals in der Schule besser die Vokabeln
gebueffelt. Naja, die Ueberlegung war vermutlich fruchtlos. Man konnte sich ja
schliesslich nicht seine Teenie-Nachmittage mit Mathe pauken versauen, nur weil
man in zehn Jahren theoretisch den Entwickler der Wahrscheinlichkeitsrechnung
bei Tinder matchen koennte. Ach, der ist schon tot? Ich sag doch, man kann
nicht jede Unterrichtsstunde aufmerksam verfolgen. Was soll’s! Wenn jemand
verzweifelt versucht deutsch zu sprechen und die Artikel “der” und “die”
vertauscht, denkt man sich ja auch nicht: Oh man ist das peinlich!, sondern
vielmehr: Wie suess, da versucht es jemand wirklich! Vorausgesetzt natuerlich, die
Person ist nicht in Deutschland aufgewachsen. Soll ja auch vorkommen.
“Alles ok? Du bist so still!”, riss mich Justin schliesslich
aus meinen Ueberlegungen. Seine Unterlippe bildete eine Beule. Er hatte die
Angewohnheit auf Fahrten von mindestens einer Stunde Kautabak zu konsumieren.
Wenn er wuesste, wie bloed er dabei aussah.
“Alles ok, ich bin nur muede”, flunkerte ich laechelnd. Er
legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und liess sie mindestens zehn Minuten
dort liegen. Ohne sich zwischendurch am Hinterkopf zu kratzen. Ein Fortschritt,
wie ich fand. Nach den zehn Minuten juckte es ihm dann scheinbar zwischen den
Beinen. Danach legte ich dann ehrlich gesagt auch nicht mehr den groessten Wert
auf seine Hand an meinem Koerper.
Nach einer langen, von kleinen Pipi- und Cookiepausen
unterbrochenen Fahrt, kamen wir bei pechschwarzer Nacht in Hollister an. Der
Baer steppte hier nicht gerade. Aber die Wohnsiedlung der Eltern, war genauso,
wie ich sie mir in Amerika vorstellen wuerde. Aehnlich der Wisteria Lane bei
“Desperate Housewives”.
Der Schluessel lag ganz mysterioes unter der Fussmatte, Mom
and Dad schliefen bereits. Durchs Haus zog ein etwas merkwuerdiger,
undefinierbarer Geruch. Vielleicht war das den beginnenden Vorbereitungen fuer
das morgige Thanksgiving geschuldet.
Unser Zimmer haette eines in einem Maerchenschloss sein
koennen. Ein kleiner Schminktisch mit Pflegeutensilien stand an einer Wand, ein
flauschiger Veloursteppich bedeckte den Boden und ein wohlig gepolstertes Bett
befand sich am mit Gardinen umsaeumten
Fenster. Nun gut, fuer gewisse Stunden war das Bett sicher nicht perfekt, da es
schon Probleme bereitete sich von einer Seite zur anderen zu drehen. Aber -who
cares- wozu bumsen, wenn man auch schlafen kann.
Die Nacht war frisch, im Norden von Kalifornien schien es
deutlich kuehler zu sein als in Orange County. Also kuschelte ich mich an
Justin und nickte zwischen der dritten und vierten imaginaeren Umarmung mit
seiner Mutter schliesslich ein.
Als ich am fruehen Morgen dann aufwachte, hoerte ich im
Untergeschoss bereits jemanden werkeln. Und da waren Stimmen, eine maennliche
und eine weibliche. Mein Herz schlug bis zum Hals. Die erste Begegnung stand
unmittelbar bevor und da ich wusste, wie wichtig Justin die Meinung der Eltern
war, konnte der erste Eindruck der Beziehung in eine bestimmte Richtung verhelfen.
Oder sie gnadenlos durch die Holzdielen krachen lassen.
Am liebsten haette ich die Situation sofort und alleine
hinter mich gebracht. Aber das waere unfair gegenueber Justin gewesen, den das
Ganze nicht sonderlich zu beunruhigen schien, seinem saegenden Schnarchen nach
zu urteilen.
Also sprang ich schnell unter die Dusche und wunderte mich,
dass nach gefuehlt einer Minute der Wasserstrahl schwaecher wurde und
schliesslich ganz versiegte. Halbfertig stieg ich aus der Wanne. Den Rest wusch
ich mir weitesgehend am Waschbecken ab. Justin verriet mir spaeter unter
bruellendem Gelaechter, dass man nach einer kurzen Zeit an einem Haken ziehen
muesse, dann kaeme eine erneute Ladung Wasser. Egal, jetzt war ich bereits in
trockenen Tuechern und den schmierigen Duschgel-Film musste meine Haut eben mal
einen Tag lang abkoennen. Das geringste Problem! Als ich Justin dann nach einer
gefuehlten Ewigkeit endlich aus den Federn bekam, schlich ich gepudert und
gebohnert hinter ihm die knarrenden Treppen hinab.
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