Freitag, 20. Februar 2015


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Beziehungsstatus: Es wird kompliziert gemacht!
Ich schreckte aus dem Schlaf auf und war zunaechst orientierungslos. Mein Nachthemd klebte kalt an meinem Koerper. Als sich Justins saegendes Schnarchen in meinem rechten Ohr breitmachte, sackteich erleichtert zurueck ins Kopfkissen. Es war kein Traum, ich war tatsaechlich in California geblieben. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet mir, dass mein Flieger bereits seit drei Stunden gen Heimat flog. Ohne mich! Dass ich mich ueberhaupt noch darueber wunderte, nachdem ich grundsaetzlich meinen Verstand in Liebesdingen ausschaltete.
Der Abend zuvor war anders gewesen als sonst. Eine merkwuerdige Anspannung lag in der Luft. Als haetten wir uns mit der Stornierung des Fluges bereits dazu entschieden, unser Leben miteinander zu verbringen. Unter uns, fuer mich war das bereits vor unserem ersten Treffen besiegelt. Ich sage ja, der Verstand ist irgendwo zwischen der vierten Facebook- und fuenften What’s app. Message auf der Strecke geblieben. Vielleicht sollte ich bei Mark Zuckerberg mal anfragen, ob ich irgendeine Chance hatte meine Rechte daran wiederzubekommen.
Die Situation war verrueckt. Ich hatte saemtliche Pflichten verschoben, um meiner Romanze die Moeglichkeit einzuraeumen zu wachsen und zu gedeihen, hatte aber gleichzeitig das paradoxe Gefuehl, ihr koennte dabei die Luft abgeschnuert werden. Enscheidung getroffen! Was brachte es jetzt damit zu hadern?
Es wurden wunderschoene weitere zehn Tage. Ich wusste, dass zuhause einiges an Arbeit auf mich warten wuerde, welches sich kein weiteres Mal aufschieben liesse. Ausserdem wollte ich die Situation nicht bis zum Ultimo ausreizen.
Bevor ich allerdings fuhr, wollte ich unseren Beziehungsstatus checken. Ich wartete einen sehr intimen Moment ab (nicht sooo intim!!) und fragte ihn, wie ernst er unsere Verbindung sehe. “Sehr Ernst!”, laechelte er, drueckte mich noch naeher an sich heran und wir verschmolzen foermlich ineinander. (Pfui Teufel, lebt eure Phantasien woanders aus!J) Naja, jetzt steckte ich halb drin (in der Situation). Vergleichbar mit dem Gefuehl frueher auf dem Schulklo: war die halbe Scheisse draussen, gab es kein zurueck mehr. Dann konnte man nur noch hoffen, dass es nicht allzu laut plumpste.
“Das heisst, wir sind nun Boyfriend-Girlfriend?” rueckversicherte ich das, was schon unausgesprochen auf einem silbernen Tablett vor uns lag und ihm nur noch in den Mund gelegt werden musste.
“Lass uns warten!” Scheisse versenkt. Nun spuckte er unsere Gefuehle fuereinander buchstaeblich zurueck auf’s Tablett. Bis wann genau? Bis Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen oder du merkst, dass du bei der heissen Blondine mit mindestens einer Koerbchengroesse mehr als ich keine Schnitte hast? Hatte mich mein Gespuer denn so getaeuscht?
“O-O-Okay good!” stammelte ich verlegen und wandte mich eingeschnappt zur Seite.
“Mad?”, fragte er mitfuehlend. Spiel jetzt nicht den Seelenklempner, nachdem du sie mir vorher ruecksichtslos rausgerissen und in tausend Teile zerstueckelt hast, dachte ich, schuettelte aber bloss den Kopf.
“Ich will mir erst ganz sicher sein!”, versuchte er seinen Standpunkt zu vertreten. Aber sicher mich fuenf Minuten zuvor auf”s Bett zu schmeissen und mit mir “Bums, bums, bums, der Plumpssack geht herum” zu spielen warst du dir schon oder was? Schon gut, eure ungezogenen Phantasien waren gar nicht so abwegig. Bloede heutige Zeit, in der sich einfach niemand mehr auf eine feste Beziehung einlassen moechte. Frueher bedeutete der erste Kuss bereits, dass man eine Woche spaeter verheiratet war. Haette ich doch damals gelebt. Moment, dann waere ich bereits seit 1 ½ Jahrzehnten mit dem fetten, verpickelten Nils aus meinem Ostseeurlaub lieert. Dann lieber ab und an mal eine Enttaeuschung erleben, als Morgen fuer Morgen neben einer aufzuwachen.
Justin schien mein gruebelndes Schweigen zu verunsichern. Er kraulte meinen Nacken und versicherte mir, wenn ich wiederkommen wuerde, waeren wir ein Paar. Damit liess ich mich zunaechst semi zufrieden abspeisen.
Der Tag der Heimreise kam rascher, als mir lieb war. Das Wetter am kalifornischen Himmel unterstrich meine Gemuetslage. Dicke, graue Wolken hingen ueber mir, bereit sich in Kuerze ungebremst zu entladen. So stiefelte ich mittags mit Sack und Pack ueber die grosse Hauptstrasse zu Justins Buero, um ein zuenftiges Abschiedsszenario zu kreieren. Bislang hatte ich erfolgreich gegen den Traenenstau, der sich gegen meine Netzhaut draengte, angekaempft. Dies aenderte sich schlagartig, als ich ihn sah. In seinem Anzug. Ganz alleine. Vor seinem Buero. Hilflos. Einsam. Emotionen, Emotionen. Alle Daemme brachen und mir stuerzten Traenenbaeche ungebremst das Gesicht herab. Wasser fuer Kalifornien! Ich umarmte ihn unzaehlige Male und drueckte seinen kratzenden Bart gegen meine feuchte Wange. “Ich will nicht gehen!”, heulte ich verzweifelt. “Dann bleib!”, murmelte er. Gleiches Spiel, anderer Ausgang. Heute musste ich gehen, zu lange hatte ich den Abschied schon hinausgezoegert. Wir beschlossen uns in zwei Monaten wiederzusehen, nachdem ich in Deutschland etwas Geld zusammengekratzt und meine Angelegenheiten geklaert hatte. Ich wimmerte noch, als ich im grossen Jeep zum Flughafen gefahren wurde.
Selbst als ich fuenf Stunden spaeter im Flugzeug sass, wollte ich die Endgueltigkeit, die hinter diesem Abschied stehen koennte, nicht wahrhaben. Warum nicht aus dem Flugzeug ausbrechen, bevor es die Landebahn verlassen hatte. Bloedsinn! Zwar waren wir noch in unmittelbarer Naehe zu Hollywood und doch wuerden meine Zuschauer heute kein Happy-End mehr erleben. Wenigstens schien ich die ganze Sitzreihe fuer mich zu haben. Nur noch vereinzelt kamen Passagiere durch die Reihen, um sich den Weg zu ihrem Sitz zu Bahnen. Ich schob mir gerade die Sonnenbrille auf meine Nase um klammheimlich noch ein paar Traenchen zu verdruecken, als ein dicker, osteuropaeisch aussehender Mann durch’s  Flugzeug bollerte.  Bitte setze dich jetzt nicht neben mich, dachte ich verweifelt. Er tat es! Aber erst, nachdem er sich seinen zwei Nummern zu kleinen Pullover unter Freilegung seiner Wampe vom Leib gerissen hatte. Ganz und gar kein Happy-End fuer mich heute. Und dann war der Fettwanz auch noch so unfassbar gespraechig und erzaehlte mir in seinem schlechten Englisch, wie viel er in den letzten Wochen abgenommen hatte. Sollte ich jetzt auch noch dankbar dafuer sein, dass mir wenigstens der halbe Sitzplatz blieb? Ich musste mich schon konzentrieren nicht von der Kante zu fallen. Lass mich doch einfach in Ruhe heulen, dachte ich. Als er das Gespraech dann auf mein Heimatland lenkte, wendete sich das Blatt. Er begann ein beinahe fliessendes Deutsch zu sprechen und echten Humor zu haben. Wieder mal viel zu schnell meinen Vorurteilen hingegeben. Die Zeit verging, wen wundert’s, wie im Flug und als wir zwoelf Stunden spaeter im verschneiten Moskau landeten (Ich weiss, sonderbare Flugroute), spendierte er mir sogar noch einen Tee. Nach weiteren drei Stunden Flug, kam ich dann endlich in Duesseldorf an. Meine Eltern erwarteten mich sehnsuechtig und mit funkelnden Augen und ich bemerkte erst jetzt, wie sehr sie mir gefehlt hatten.
Als ich Justin schliesslich wissen lassen wollte, dass ich gut angekommen war, erwartete mich eine Flut von Nachrichten. Ich las sie mir wieder und wieder durch und haette ich noch irgendwo welche uebrig gehabt, waere ich sicherlich zu Traenen geruehrt gewesen. “Come back baby!”, stand dort unverkennbar scharf geschrieben. “Please come back as soon as possible!”

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