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Beziehungsstatus: Es wird kompliziert gemacht!
Ich schreckte aus dem Schlaf auf und war zunaechst
orientierungslos. Mein Nachthemd klebte kalt an meinem Koerper. Als sich
Justins saegendes Schnarchen in meinem rechten Ohr breitmachte, sackteich erleichtert
zurueck ins Kopfkissen. Es war kein Traum, ich war tatsaechlich in California
geblieben. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet mir, dass mein Flieger bereits
seit drei Stunden gen Heimat flog. Ohne mich! Dass ich mich ueberhaupt noch
darueber wunderte, nachdem ich grundsaetzlich meinen Verstand in Liebesdingen
ausschaltete.
Der Abend zuvor war anders gewesen als sonst. Eine
merkwuerdige Anspannung lag in der Luft. Als haetten wir uns mit der
Stornierung des Fluges bereits dazu entschieden, unser Leben miteinander zu
verbringen. Unter uns, fuer mich war das bereits vor unserem ersten Treffen besiegelt.
Ich sage ja, der Verstand ist irgendwo zwischen der vierten Facebook- und
fuenften What’s app. Message auf der Strecke geblieben. Vielleicht sollte ich
bei Mark Zuckerberg mal anfragen, ob ich irgendeine Chance hatte meine Rechte
daran wiederzubekommen.
Die Situation war verrueckt. Ich hatte saemtliche Pflichten
verschoben, um meiner Romanze die Moeglichkeit einzuraeumen zu wachsen und zu
gedeihen, hatte aber gleichzeitig das paradoxe Gefuehl, ihr koennte dabei die
Luft abgeschnuert werden. Enscheidung getroffen! Was brachte es jetzt damit zu
hadern?
Es wurden wunderschoene weitere zehn Tage. Ich wusste, dass
zuhause einiges an Arbeit auf mich warten wuerde, welches sich kein weiteres
Mal aufschieben liesse. Ausserdem wollte ich die Situation nicht bis zum Ultimo
ausreizen.
Bevor ich allerdings fuhr, wollte ich unseren
Beziehungsstatus checken. Ich wartete einen sehr intimen Moment ab (nicht sooo
intim!!) und fragte ihn, wie ernst er unsere Verbindung sehe. “Sehr Ernst!”,
laechelte er, drueckte mich noch naeher an sich heran und wir verschmolzen
foermlich ineinander. (Pfui Teufel, lebt eure Phantasien woanders aus!J) Naja, jetzt steckte
ich halb drin (in der Situation). Vergleichbar mit dem Gefuehl frueher auf dem
Schulklo: war die halbe Scheisse draussen, gab es kein zurueck mehr. Dann
konnte man nur noch hoffen, dass es nicht allzu laut plumpste.
“Das heisst, wir sind nun Boyfriend-Girlfriend?” rueckversicherte
ich das, was schon unausgesprochen auf einem silbernen Tablett vor uns lag und
ihm nur noch in den Mund gelegt werden musste.
“Lass uns warten!” Scheisse versenkt. Nun spuckte er unsere
Gefuehle fuereinander buchstaeblich zurueck auf’s Tablett. Bis wann genau? Bis
Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen oder du merkst, dass du bei der
heissen Blondine mit mindestens einer Koerbchengroesse mehr als ich keine
Schnitte hast? Hatte mich mein Gespuer denn so getaeuscht?
“O-O-Okay good!” stammelte ich verlegen und wandte mich
eingeschnappt zur Seite.
“Mad?”, fragte er mitfuehlend. Spiel jetzt nicht den
Seelenklempner, nachdem du sie mir vorher ruecksichtslos rausgerissen und in tausend
Teile zerstueckelt hast, dachte ich, schuettelte aber bloss den Kopf.
“Ich will mir erst ganz sicher sein!”, versuchte er seinen
Standpunkt zu vertreten. Aber sicher mich fuenf Minuten zuvor auf”s Bett zu
schmeissen und mit mir “Bums, bums, bums, der Plumpssack geht herum” zu spielen
warst du dir schon oder was? Schon gut, eure ungezogenen Phantasien waren gar
nicht so abwegig. Bloede heutige Zeit, in der sich einfach niemand mehr auf
eine feste Beziehung einlassen moechte. Frueher bedeutete der erste Kuss
bereits, dass man eine Woche spaeter verheiratet war. Haette ich doch damals
gelebt. Moment, dann waere ich bereits seit 1 ½ Jahrzehnten mit dem fetten,
verpickelten Nils aus meinem Ostseeurlaub lieert. Dann lieber ab und an mal
eine Enttaeuschung erleben, als Morgen fuer Morgen neben einer aufzuwachen.
Justin schien mein gruebelndes Schweigen zu verunsichern. Er
kraulte meinen Nacken und versicherte mir, wenn ich wiederkommen wuerde, waeren
wir ein Paar. Damit liess ich mich zunaechst semi zufrieden abspeisen.
Der Tag der Heimreise kam rascher, als mir lieb war. Das
Wetter am kalifornischen Himmel unterstrich meine Gemuetslage. Dicke, graue
Wolken hingen ueber mir, bereit sich in Kuerze ungebremst zu entladen. So
stiefelte ich mittags mit Sack und Pack ueber die grosse Hauptstrasse zu
Justins Buero, um ein zuenftiges Abschiedsszenario zu kreieren. Bislang hatte
ich erfolgreich gegen den Traenenstau, der sich gegen meine Netzhaut draengte,
angekaempft. Dies aenderte sich schlagartig, als ich ihn sah. In seinem Anzug.
Ganz alleine. Vor seinem Buero. Hilflos. Einsam. Emotionen, Emotionen. Alle
Daemme brachen und mir stuerzten Traenenbaeche ungebremst das Gesicht herab.
Wasser fuer Kalifornien! Ich umarmte ihn unzaehlige Male und drueckte seinen
kratzenden Bart gegen meine feuchte Wange. “Ich will nicht gehen!”, heulte ich
verzweifelt. “Dann bleib!”, murmelte er. Gleiches Spiel, anderer Ausgang. Heute
musste ich gehen, zu lange hatte ich den Abschied schon hinausgezoegert. Wir
beschlossen uns in zwei Monaten wiederzusehen, nachdem ich in Deutschland etwas
Geld zusammengekratzt und meine Angelegenheiten geklaert hatte. Ich wimmerte
noch, als ich im grossen Jeep zum Flughafen gefahren wurde.
Selbst als ich fuenf Stunden spaeter im Flugzeug sass,
wollte ich die Endgueltigkeit, die hinter diesem Abschied stehen koennte, nicht
wahrhaben. Warum nicht aus dem Flugzeug ausbrechen, bevor es die Landebahn
verlassen hatte. Bloedsinn! Zwar waren wir noch in unmittelbarer Naehe zu
Hollywood und doch wuerden meine Zuschauer heute kein Happy-End mehr erleben. Wenigstens
schien ich die ganze Sitzreihe fuer mich zu haben. Nur noch vereinzelt kamen
Passagiere durch die Reihen, um sich den Weg zu ihrem Sitz zu Bahnen. Ich schob
mir gerade die Sonnenbrille auf meine Nase um klammheimlich noch ein paar
Traenchen zu verdruecken, als ein dicker, osteuropaeisch aussehender Mann
durch’s Flugzeug bollerte. Bitte setze dich jetzt nicht neben mich,
dachte ich verweifelt. Er tat es! Aber erst, nachdem er sich seinen zwei Nummern
zu kleinen Pullover unter Freilegung seiner Wampe vom Leib gerissen hatte. Ganz
und gar kein Happy-End fuer mich heute. Und dann war der Fettwanz auch noch so
unfassbar gespraechig und erzaehlte mir in seinem schlechten Englisch, wie viel
er in den letzten Wochen abgenommen hatte. Sollte ich jetzt auch noch dankbar
dafuer sein, dass mir wenigstens der halbe Sitzplatz blieb? Ich musste mich
schon konzentrieren nicht von der Kante zu fallen. Lass mich doch einfach in
Ruhe heulen, dachte ich. Als er das Gespraech dann auf mein Heimatland lenkte,
wendete sich das Blatt. Er begann ein beinahe fliessendes Deutsch zu sprechen
und echten Humor zu haben. Wieder mal viel zu schnell meinen Vorurteilen
hingegeben. Die Zeit verging, wen wundert’s, wie im Flug und als wir zwoelf
Stunden spaeter im verschneiten Moskau landeten (Ich weiss, sonderbare
Flugroute), spendierte er mir sogar noch einen Tee. Nach weiteren drei Stunden
Flug, kam ich dann endlich in Duesseldorf an. Meine Eltern erwarteten mich
sehnsuechtig und mit funkelnden Augen und ich bemerkte erst jetzt, wie sehr sie
mir gefehlt hatten.
Als ich Justin schliesslich wissen lassen wollte, dass ich
gut angekommen war, erwartete mich eine Flut von Nachrichten. Ich las sie mir
wieder und wieder durch und haette ich noch irgendwo welche uebrig gehabt,
waere ich sicherlich zu Traenen geruehrt gewesen. “Come back baby!”, stand dort
unverkennbar scharf geschrieben. “Please come back as soon as possible!”
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