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Warum
fahren, wenn es am schoensten ist?
Ich habe ja schon von Tricks gehoert, wie man bechern kann,
ohne sich anschliessend dem ansteigenden Alkoholspiegel im Blut und der damit
verbundenen, sinkenden Hemmschwelle kampflos ausgeliefert zu fuehlen. Die gaengigste
aller Vorkehrungen lautet ohne Wenn und Aber vorher ausreichend zu essen. Zudem
sollte man zwischen den Shots ein Glas Wasser trinken. Soll helfen, nie
probiert! Wenn ich mich mal mit einem Auto vergleiche und in meinen Tank 40
Liter passen, war der Tank bereits zu drei Viertel mit Truthahnschenkeln und
Schokokuchen gestopft. Wo soll da noch Wasser Platz finden?
Ein etwas abscheulicher Gedanke ist es, vor dem Alkoholgenuss
Oel zu konsumieren. Das soll angeblich helfen, die Wirkung der Spirituosen zu
verzoegern. Hat den Vorteil, dass man sich in der jeweiligen Situation trotz
Alkohol unter Kontrolle hat. Bizarre Vorstellung, auf einmal um vier Uhr nachts
in unheimliche Feierlaune zu verfallen, weil im Schlaf der Pegel nach oben
schnellt. Naja auch das kam fuer mich nicht in Frage denn, haltet mich nicht
fuer eitel, aber man darf das mit dem guten Stoffwechsel auch nicht
ueberstrapazieren.
Also, was soll’s, rein mit den Schnaepsen. Woran erkennt man
aber einen guten von einem schlechten Tequila. Das ist nun wirklich keine
Herausforderung. Woran erkennt man einen guten von einem schlechten Lover?
Richtig, der Gute fragt regelmaessig nach dem Akt wie er war, waehrend sich der
schlechte unmittelbar danach umdreht und friedlich eindaemmert (ich hoffe hier
fuehlt sich niemand auf den ‘Schlips’ getreten). Genauso auch bei der Tequila
Verkoestigung. Wenn der Dad waehrend mir der Shot brennend die Kehle
herunterrinnt gespannt auf meine
Hauptschlagader am Hals starrt und mich anschliessend dreimal fragt, wie er mir
denn gechmeckt haette, musste er einfach gut sein. 100 Prozent Trefferquote!
Ich konnte beruhigt ins Bett wanken.
Am naechsten Mittag beschlossen wir uns leicht bis
mittelschwer verkatert mit Erica und Gio, einem befreundeten Paar und Justins
Schwester zu treffen. Es galt Capitola, ein kleines, am Meer gelegenes Staedtchen
zu erkunden. Zwar habe ich nicht im Duden nachgeschaut, doch schien ‘erkunden’
im amerikanischen Sprachgebrauch wohl als Synonym fuer ‘das Abklappern
saemtlicher Bars’ zu stehen. Zack, schon wieder betrunken, na hoerte das denn
nie auf? Wie gut, dass die Sprachbarriere in solcher Hinsicht ein echter
Vorteil war, als dass ich aufgrund mangelnden Vokabulars gar nicht
aussergewoehnlich redselig werden konnte. Das ueberliess ich dann lieber den
anderen. Welch Balsam, fuer die Seele zu hoeren, wie sehr man sich mich doch
als ‘Sister in Law’ wuenschte. Der Abend spruehte nur so vor Esprit und als
dann der “Wolle du Rose kaufe”-Mann (verliert ins englische uebersetzt
geringfuegig an Liebreiz) des Weges kam, schenkte Gio uns drei Maedels und der
verbluefften Dame am Nachbarstisch jeweils einen Strauss Blumen. Charme haben
sie ja, die Americans.
Als wir nachts summend durch die Gassen torkelten und Justin
unser kleines Grueppchen vorsichtshalber noch einmal durchzaehlte, bemerkten
wir wie vom Donner geruehrt, dass wir uns um eine Person verringert hatten.
Erica war verschwunden. “Die wird schon wieder auftauchen, immerhin habe ich
noch ihre Blumen”, witzelte Gio. Hatte ich jemals ‘Amerikaner’ und ‘Charme’
in einem Satz erwaehnt? Vergesst es!
Wir stampften durch die Strassen und riefen ihren Namen. Ihr
Freund schien genervt. Mir war nicht ganz klar, ob davon, dass er seine
Verlobte lieber gar nicht wieder gefunden haette oder weil es vermutlich nicht
das erste Mal war, dass sie abhanden gekommen war?
“Vielleicht sollten wir sie anrufen?”, kam es Justins
Schwester geistesanwesend in den Sinn. Gar nicht mal so abwegig im heutigen
Zeitalter. Sie nahm tatsaechlich ab…und war auf 180! Ihre Wut galt nicht uns
allen, sondern vornehmlich ihrem minder interessierten Verlobten. Wir sammelten
sie an einem der Shops ein und steuerten zurueck Richtung Hollister. Waehrend
Erica sich langsam zu beruhigen begann, schien Gio sich in seiner Ehre gekraenkt
zu fuehlen. Zunaechst ignorierte er seine inzwischen wie ein zahmes Laemmchen
dreinblickende Geliebte (hier nicht umbedingt woertlich zu nehmen). Doch als
wir dann nach peinlich beruehrten 60 Minuten Fahrt durch die Nacht, mit
diversen Pipi Pausen, endlich Justins Elternhaus erreichten, lief das Fass
ueber. Wie in einem schlechten Hollister-Film (Kommt schon, so schlecht ist das
Wortspiel nicht!) schleuderte er Ericas Tasche, inklusive Rosen auf den harten
Asphalt, wo die Blueten buchstaeblich zerbarsten. Anschliessend stieg er
alkoholisiert ins Auto und raste mit quietschenden Reifen davon. Ein Drama!
Schweigend, taetschelte Justin meine Schulter, als taete es
ihm leid, dass ich so etwas in meinem Urlaub erleben musste. Dann machte er mir
pikiert deutlich, dass seine solche Szene unter Amerikanern nicht unueblich
waere. Da war es mal wieder, das beruehmte Schubladendenken. Sollte ich ihm in
diesem Zusammenhang wirklich erzaehlen, dass ich meinem Ex in einem Anfall von
Tobsucht die Frontscheibe seines BMW zertreten hatte? Das waere vermutlich zu viel,
die Schublade wuerde sich anschliessend nicht mehr schliessen lassen. Egal,
lassen wir ihn in dem Glauben die Deutschen wuerden sich hoechstens darum streiten,
wer zu Mittag Sauerkraut und Bratwurst zubereiten und das Bier kaltstellen
durfte.
Nach noch ein bis zwei Shots Tequila (musste der schlechte
sein, da keine Aufmerksamkeit auf meine Reaktion) schliefen wir mal wieder
zugedroehnt ein. Nachts, als Justin sich den Weg zur Tuer bahnen wollte, um
seiner Blase freien Lauf zu lassen, plumste er wie ein schwerer Stein auf den
Boden. Der Gedanke, ob er wohl den Oel-Trick angewandt hatte, wurde durch sein
herzhaftes Lachen ausgeloescht, dass mich unweigerlich mitriss.
Der naechste Tag begann nicht so lustig. Mein Kopf flippte
mal wieder im Dreieck, dabei war heute San Francisco geplant und und ich hatte
mich unfassbar auf diese vermeintlich beeindruckende Stadt gefreut. Als ich
dann schlaftrunken mein Handy checkte, erwartete mich die unschoene Nachricht
eines Patienten, der mich enttaeuscht fragte, wieso ich nicht mehr in der
Praxis arbeiten wuerde. It sucks! Musste man jetzt schon von seinen Patienten
erfahren, dass man gekuendigt wurde? Die anschliessende aggressiv-anmutende
“What’s app” Koversation mit meinem Ex-Chef kurbelte meine Laune auch nicht
gerade an. Mein Kopf brummte grimmig und entschied sich dagegen aufzustehen.
Und dann war heute auch noch der letzte Tag meiner Reise. Wuerde ich je
wiederkommen und wie wuerde diese unfassbar schoene, aber umso komliziertere
Lovestory weitergehen? Und wuerde sie das ueberhaupt tun? Fragen, die mir
prompt die Traenen in die Augen schiessen liessen.
Ich riss mich zusammen und entschied mich zumindest dazu mit
der kompletten Familie in einem franzoesisch-amerikanischen Restaurant zu
dinnieren. Nachdem ich zunaechst panisch vermutete, dass mein ‘deutscher
Schokokuchen’ als ‘Tarte au Chocolat’ entlarvt werden konnte, stellte ich mit
Erleichterung fest, dass das einzig franzoesische an diesem Restaurant das
Bidet auf der Toilette war. Aber nun gut, es war ein Anfang! Ein grosser
Unterschied zwischen den amerikanischen Essgewohnheiten im Gegensatz zu den
europaeischen ist, dass die Amerikaner essen gehen, der Nahrungsaufnahme wegen.
Europaeer in Dissonanz hierzu vielmehr der Konversation in Verbindung mit einem
guten Essen. Im Klartext fuehlte ich mich vermutlich waehrend des Essens mehr
gejagt, als das Rind, auf meinem Teller, vor seiner Hinrichtung.
Die Nacht war kurz und schlaflos, ich spuerte eine ungeheure
Anspannung, wenn ich ueber den Abschied nachdachte. Die Verabschiedung der
Eltern war beinahe noch herzlicher, als die Begruessung wenige Tage zuvor, auch
wenn mir nun danach war, sie mit Komplimenten bezueglich ihrer fabuloesen
Gastfreundschaft zu ueberhaeufen.
Im Auto schossen mir die Traenen wie aus Fontaenen in die
Augen und liessen meinen Koerper bibbern.
Justin betrachtete mich aus dem Augenwinkel skeptisch und fragte mich
anschliessend unsicher, ob alles in Ordnung sei. Ich schuettelte wimmernd den
Kopf. “Willst du bleiben?” Die Worte hallten in meinen Ohren. Ich rieb mir die
Augen, bis die verschwommene einer klaren Sicht wich. “Ja!”, murmelte ich
heiser. Mein Blick war nun glasklar “Ja, ich will bleiben!”
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