Mittwoch, 18. Februar 2015


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Warum fahren, wenn es am schoensten ist?
Ich habe ja schon von Tricks gehoert, wie man bechern kann, ohne sich anschliessend dem ansteigenden Alkoholspiegel im Blut und der damit verbundenen, sinkenden Hemmschwelle kampflos ausgeliefert zu fuehlen. Die gaengigste aller Vorkehrungen lautet ohne Wenn und Aber vorher ausreichend zu essen. Zudem sollte man zwischen den Shots ein Glas Wasser trinken. Soll helfen, nie probiert! Wenn ich mich mal mit einem Auto vergleiche und in meinen Tank 40 Liter passen, war der Tank bereits zu drei Viertel mit Truthahnschenkeln und Schokokuchen gestopft. Wo soll da noch Wasser Platz finden?
Ein etwas abscheulicher Gedanke ist es, vor dem Alkoholgenuss Oel zu konsumieren. Das soll angeblich helfen, die Wirkung der Spirituosen zu verzoegern. Hat den Vorteil, dass man sich in der jeweiligen Situation trotz Alkohol unter Kontrolle hat. Bizarre Vorstellung, auf einmal um vier Uhr nachts in unheimliche Feierlaune zu verfallen, weil im Schlaf der Pegel nach oben schnellt. Naja auch das kam fuer mich nicht in Frage denn, haltet mich nicht fuer eitel, aber man darf das mit dem guten Stoffwechsel auch nicht ueberstrapazieren.
Also, was soll’s, rein mit den Schnaepsen. Woran erkennt man aber einen guten von einem schlechten Tequila. Das ist nun wirklich keine Herausforderung. Woran erkennt man einen guten von einem schlechten Lover? Richtig, der Gute fragt regelmaessig nach dem Akt wie er war, waehrend sich der schlechte unmittelbar danach umdreht und friedlich eindaemmert (ich hoffe hier fuehlt sich niemand auf den ‘Schlips’ getreten). Genauso auch bei der Tequila Verkoestigung. Wenn der Dad waehrend mir der Shot brennend die Kehle herunterrinnt gespannt auf  meine Hauptschlagader am Hals starrt und mich anschliessend dreimal fragt, wie er mir denn gechmeckt haette, musste er einfach gut sein. 100 Prozent Trefferquote! Ich konnte beruhigt ins Bett wanken.
Am naechsten Mittag beschlossen wir uns leicht bis mittelschwer verkatert mit Erica und Gio, einem befreundeten Paar und Justins Schwester zu treffen. Es galt Capitola, ein kleines, am Meer gelegenes Staedtchen zu erkunden. Zwar habe ich nicht im Duden nachgeschaut, doch schien ‘erkunden’ im amerikanischen Sprachgebrauch wohl als Synonym fuer ‘das Abklappern saemtlicher Bars’ zu stehen. Zack, schon wieder betrunken, na hoerte das denn nie auf? Wie gut, dass die Sprachbarriere in solcher Hinsicht ein echter Vorteil war, als dass ich aufgrund mangelnden Vokabulars gar nicht aussergewoehnlich redselig werden konnte. Das ueberliess ich dann lieber den anderen. Welch Balsam, fuer die Seele zu hoeren, wie sehr man sich mich doch als ‘Sister in Law’ wuenschte. Der Abend spruehte nur so vor Esprit und als dann der “Wolle du Rose kaufe”-Mann (verliert ins englische uebersetzt geringfuegig an Liebreiz) des Weges kam, schenkte Gio uns drei Maedels und der verbluefften Dame am Nachbarstisch jeweils einen Strauss Blumen. Charme haben sie ja, die Americans.
Als wir nachts summend durch die Gassen torkelten und Justin unser kleines Grueppchen vorsichtshalber noch einmal durchzaehlte, bemerkten wir wie vom Donner geruehrt, dass wir uns um eine Person verringert hatten. Erica war verschwunden. “Die wird schon wieder auftauchen, immerhin habe ich noch ihre Blumen”, witzelte Gio. Hatte ich jemals ‘Amerikaner’ und ‘Charme’ in einem Satz erwaehnt? Vergesst es!
Wir stampften durch die Strassen und riefen ihren Namen. Ihr Freund schien genervt. Mir war nicht ganz klar, ob davon, dass er seine Verlobte lieber gar nicht wieder gefunden haette oder weil es vermutlich nicht das erste Mal war, dass sie abhanden gekommen war?
“Vielleicht sollten wir sie anrufen?”, kam es Justins Schwester geistesanwesend in den Sinn. Gar nicht mal so abwegig im heutigen Zeitalter. Sie nahm tatsaechlich ab…und war auf 180! Ihre Wut galt nicht uns allen, sondern vornehmlich ihrem minder interessierten Verlobten. Wir sammelten sie an einem der Shops ein und steuerten zurueck Richtung Hollister. Waehrend Erica sich langsam zu beruhigen begann, schien Gio sich in seiner Ehre gekraenkt zu fuehlen. Zunaechst ignorierte er seine inzwischen wie ein zahmes Laemmchen dreinblickende Geliebte (hier nicht umbedingt woertlich zu nehmen). Doch als wir dann nach peinlich beruehrten 60 Minuten Fahrt durch die Nacht, mit diversen Pipi Pausen, endlich Justins Elternhaus erreichten, lief das Fass ueber. Wie in einem schlechten Hollister-Film (Kommt schon, so schlecht ist das Wortspiel nicht!) schleuderte er Ericas Tasche, inklusive Rosen auf den harten Asphalt, wo die Blueten buchstaeblich zerbarsten. Anschliessend stieg er alkoholisiert ins Auto und raste mit quietschenden Reifen davon. Ein Drama!
Schweigend, taetschelte Justin meine Schulter, als taete es ihm leid, dass ich so etwas in meinem Urlaub erleben musste. Dann machte er mir pikiert deutlich, dass seine solche Szene unter Amerikanern nicht unueblich waere. Da war es mal wieder, das beruehmte Schubladendenken. Sollte ich ihm in diesem Zusammenhang wirklich erzaehlen, dass ich meinem Ex in einem Anfall von Tobsucht die Frontscheibe seines BMW zertreten hatte? Das waere vermutlich zu viel, die Schublade wuerde sich anschliessend nicht mehr schliessen lassen. Egal, lassen wir ihn in dem Glauben die Deutschen wuerden sich hoechstens darum streiten, wer zu Mittag Sauerkraut und Bratwurst zubereiten und das Bier kaltstellen durfte.
Nach noch ein bis zwei Shots Tequila (musste der schlechte sein, da keine Aufmerksamkeit auf meine Reaktion) schliefen wir mal wieder zugedroehnt ein. Nachts, als Justin sich den Weg zur Tuer bahnen wollte, um seiner Blase freien Lauf zu lassen, plumste er wie ein schwerer Stein auf den Boden. Der Gedanke, ob er wohl den Oel-Trick angewandt hatte, wurde durch sein herzhaftes Lachen ausgeloescht, dass mich unweigerlich mitriss.
Der naechste Tag begann nicht so lustig. Mein Kopf flippte mal wieder im Dreieck, dabei war heute San Francisco geplant und und ich hatte mich unfassbar auf diese vermeintlich beeindruckende Stadt gefreut. Als ich dann schlaftrunken mein Handy checkte, erwartete mich die unschoene Nachricht eines Patienten, der mich enttaeuscht fragte, wieso ich nicht mehr in der Praxis arbeiten wuerde. It sucks! Musste man jetzt schon von seinen Patienten erfahren, dass man gekuendigt wurde? Die anschliessende aggressiv-anmutende “What’s app” Koversation mit meinem Ex-Chef kurbelte meine Laune auch nicht gerade an. Mein Kopf brummte grimmig und entschied sich dagegen aufzustehen. Und dann war heute auch noch der letzte Tag meiner Reise. Wuerde ich je wiederkommen und wie wuerde diese unfassbar schoene, aber umso komliziertere Lovestory weitergehen? Und wuerde sie das ueberhaupt tun? Fragen, die mir prompt die Traenen in die Augen schiessen liessen.
Ich riss mich zusammen und entschied mich zumindest dazu mit der kompletten Familie in einem franzoesisch-amerikanischen Restaurant zu dinnieren. Nachdem ich zunaechst panisch vermutete, dass mein ‘deutscher Schokokuchen’ als ‘Tarte au Chocolat’ entlarvt werden konnte, stellte ich mit Erleichterung fest, dass das einzig franzoesische an diesem Restaurant das Bidet auf der Toilette war. Aber nun gut, es war ein Anfang! Ein grosser Unterschied zwischen den amerikanischen Essgewohnheiten im Gegensatz zu den europaeischen ist, dass die Amerikaner essen gehen, der Nahrungsaufnahme wegen. Europaeer in Dissonanz hierzu vielmehr der Konversation in Verbindung mit einem guten Essen. Im Klartext fuehlte ich mich vermutlich waehrend des Essens mehr gejagt, als das Rind, auf meinem Teller, vor seiner Hinrichtung.
Die Nacht war kurz und schlaflos, ich spuerte eine ungeheure Anspannung, wenn ich ueber den Abschied nachdachte. Die Verabschiedung der Eltern war beinahe noch herzlicher, als die Begruessung wenige Tage zuvor, auch wenn mir nun danach war, sie mit Komplimenten bezueglich ihrer fabuloesen Gastfreundschaft zu ueberhaeufen.
Im Auto schossen mir die Traenen wie aus Fontaenen in die Augen und liessen meinen Koerper bibbern.  Justin betrachtete mich aus dem Augenwinkel skeptisch und fragte mich anschliessend unsicher, ob alles in Ordnung sei. Ich schuettelte wimmernd den Kopf. “Willst du bleiben?” Die Worte hallten in meinen Ohren. Ich rieb mir die Augen, bis die verschwommene einer klaren Sicht wich. “Ja!”, murmelte ich heiser. Mein Blick war nun glasklar “Ja, ich will bleiben!”

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